Einleitung zum Thema der Heroingestützten Behandlung

Von Prof. Dr. Torsten Passie

 

Die Nutzung von Opium als Pharmakon reicht mehr als 10.000 Jahre in der Menschheitsgeschichte zurück. Opium gehörte seit jeher und durchgehend bis heute als ein zentrales Mittel zum Arzneischatz der Menschheit. Es diente zur Schmerzstillung, Beruhigung, Entspannung und Schlafbegünstigung. Aber auch Anwendungen gegen körperliche Erkrankungen sind bekannt.

Die Opiumsucht, also ein das psychische und soziale Leben beeinträchtigender Konsum, Ist aus den asiatischen Kulturen seit Jahrtausenden bekannt.

In der westlichen Psychiatrie wurde Opium zur Behandlung von verschiedenen psychischen Störungen seit dem 18. Jahrhundert eingesetzt. Es hat sich als Mittel zur Depressionsbehandlung, Beruhigung und Schlafbegünstigung in der Psychiatrie bewährt.

Seit Mitte der 1950er Jahre wurde das Opium zugunsten der modernen Psychopharmaka wie den Tranquilizern, Neuroleptika und Antidepressiva zunehmend aus der Psychiatrie verdrängt; obgleich bei seiner Verwendung, entgegen einer verbreiteten Meinung, keine relevanten Probleme resultiert sind.

Nachdem der deutsche Apotheker Sertürner Anfang des 19. Jahrhunderts Morphin als Hauptwirkstoff aus dem Opium isoliert hatte, kam es zur gezielteren medizinischen Anwendung, aber auch zu einem zunehmenden Missbrauch als Suchtmittel. Dieser trat insbesondere bei ehemaligen Soldaten, die meist körperlich und psychisch erheblich geschädigt waren, in Erscheinung.

Morphin ließ sich nur per Injektion dem Körper zuführen. Das machte einen wesentlichen Unterschied zum Heroin aus, welches erst um 1900 entdeckt wurde, sich aber schnell verbreitete, da es auch geschnupft werden konnte, was die Anwendung erheblich erleichterte.

 

Substitutionsbehandlung mit Heroin

In den 1920er Jahren gab es erste Versuche, Morphinabhängige mit einer täglichen Gabe von Heroin zu behandeln und ihnen dadurch ein geordneteres Leben zu ermöglichen. Diese Behandlung wurde über mehr als ein Jahrzehnt in Amerika praktiziert. Nachdem die American Medical Association, die zentrale Ärzte-Organisation, auf Intervention nach mehreren Anläufen der Bundesregierung sich doch nachgiebig zeigte und diese Behandlung verbot, wurden die sogenannten Morphinabhängigen wieder ins illegale Milieu abgedrängt.

Erst während der 1980er Jahre gab es neuerliche Versuche einer Heroinverschreibung an Abhängige in England. Diese von einigen couragierten Ärzten durchgeführte Behandlung zeigte sich zwar effektiv und sicher, konnte sich aber aufgrund der damaligen politischen Bedingungen nicht etablieren.

Erst mit dem Aufkommen des HIV-Virus und seiner Verbreitung seit Mitte der 1980er Jahre sowie massiver ordnungspolitischer Probleme (Stichwort „offene Drogenszene in Zürich“), fasste die Schweiz den politischen Entschluss, Schwerstabhängige mit Heroin zu substituieren. Aufgrund ihrer starken Wirksamkeit, auch auf das Sozialverhalten der Patienten, die nun kaum noch kriminell wurden, aber auch gesundheitlich deutlich besser da standen und eine geordneteres Gesamtverhalten zeigten, konnte sich die Behandlungsmethode schnell etablieren und wurde über die gesamte deutschsprachige Schweiz ausgedehnt.

 

Die heroingestützte Behandlung in Deutschland

Seit den 1980er Jahren gab es auch in Deutschland Bestrebungen, Heroin als Substitutionsmittel einzuführen. Diese konnten sich jedoch aufgrund widriger politischer Bedingungen nicht durchsetzen, obgleich sie vielen Politikern angebracht erschienen.

Mitte der Neunzigerjahre wurde dann die Methadon-Substitution eingeführt. Dieses war jedoch für viele Patienten offenbar nicht ausreichend; vermutlich deshalb, weil Methadon im Unterschied zu Heroin kaum in das Gehirngewebe gelangt - und somit die von den Patienten erstrebte ausgleichende und beruhigende Wirkung nur unzureichend besitzt. Das nötigte sie - so ihre Sicht - zugleich andere beruhigende Stoffe oder Alkohol zu konsumieren. Für viele war aber auch dies nicht möglich, so dass sie weiterhin Heroin konsumierten und als therapieresistent klassifiziert wurden. Insbesondere für diese, von psychiatrischen Leidenssymptomen besonders stark betroffene Gruppe, wurde dann Ende der 1990er Jahre beschlossen, die heroingestützte Behandlung (HegeBe) einzuführen. Diese verfolgt neben der Substitution mit reinem Heroin auch den Zweck, die gesundheitlichen, psychischen und sozialen Probleme der Patienten im Zusammenhang mit der Behandlung gezielt anzugehen. Im Verlauf der offiziellen Medikamentenstudie mit Heroin, die seit 2002 in Deutschland betrieben wurde und 2004 zum erfolgreichen Abschluss kam, wurde deutlich, dass man im Rahmen dieser Behandlung über die Anwendung von Milieutherapie und therapeutischer Gemeinschaft viele Patienten würde weitgehend rehabilitieren können.

Die Studienergebnisse der Medikamentenstudie zeigten, dass sich der gesundheitliche Zustand der Patienten unter der Heroinsubstitution erheblich verbesserte, die Kriminalität massiv zurückging und sich soziale Netze der Patienten ausdehnen konnten. Außerdem wurde die Behandlung als sicher erwiesen. Daraufhin wurde die Heroingestützte Behandlung gesetzlich zugelassen und die Krankenkassen zur Finanzierung verpflichtet.

 

Aktuelle Entwicklungen

Trotz der offiziellen Einführung der HegeBe kam es über fast 10 Jahre zu keiner Neueröffnung solcher Behandlungseinrichtungen und lediglich die sieben von der Studie her verbliebenen Modellprojekte wurden weitergeführt. Diese Lage hat sich erst seit 2015 verändert, als drei neue Einrichtungen geschaffen wurden.

Legt man die Schweizer Patientenzahlen zugrunde, so wäre in Deutschland ein Bedarf von 50-80.000 Behandlungsplätzen zu vermuten. Da in einer solchen Einrichtung etwa 100 Patienten behandelt werden können, lässt sich leicht errechnen, wie viele Behandlungseinrichtungen benötigt würden, um eine optimale Versorgung dieser meist psychiatrisch schwerkranken Patienten zu gewährleisten. Es ist daran zu erinnern, dass es nicht nur um eine optimale Versorgung geht, sondern auch darum, diesen schwerkranken Patienten ein Überleben zu sichern und ein halbwegs würdevolles Leben zu gestalten.

Die heroingestützte Behandlung vereinigt viele Elemente, die sich in der Behandlung von suchtmittelgebrauchenden Menschen bewährt haben: regelmäßige Abläufe, Begegnung auf Augenhöhe mit Würde und Respekt, eine zuverlässige menschliche Beziehung in der Behandlungseinrichtung, milieutherapeutische Verhaltensbeeinflussung und eine Atmosphäre, die Sicherheit und Halt vermittelt. Sind diese Aspekte zuverlässig und tragfähig gewährleistet, was auch beständige Arbeit und kritische Selbstreflexion des Behandlungsteams voraussetzt, so kann diese Behandlungsform ihr volles Potenzial entfalten.