Was die psycholytische Therapie nicht ist

Von Prof. Dr. Torsten Passie

 

1. Sie ist kein Verfahren, das derzeit in Deutschland legal ist und durchgeführt werden darf.

2. Sie lässt sich nicht aus ihrem originär psychotherapeutischen Kontext lösen.

3. Ihre Grundlagen, Vorgehensweisen und Standards sind nicht beliebig. Sie folgen den in der Vergangenheit erarbeiteten Grundlagen, wie sie in den einschlägigen Werken von Abramson (1967), Grof (1980), Blewett (1959), Jungaberle et al. (2008) formuliert wurden.

4. Sie kann nicht ohne sorgfältige Anamnese, vorbereitende Psychotherapie und eine einzelfallbezogene Risiko-Nutzen-Abwägung angewendet werden.

5. Sie kann nicht ohne Kenntnisse der Medizin, Pharmakologie und Psychotherapie durchgeführt werden. Es sind ein Medizinstudium und psychiatrisch-psychotherapeutische Zusatzqualifikationen erforderlich. Ein verbindliches Curriculum für eine entsprechende Ausbildung existiert derzeit nicht.

6. Sie kann sie nicht ohne strenge Beachtung von Indikationen und Kontraindikationen, wie sie nur mit medizinisch-psychotherapeutischen Fachkenntnissen möglich ist, angewandt werden. 

7. Der psychotherapeutische Prozess spielt sich nicht hauptsächlich in den psycholytischen Sitzungen, sondern außerhalb davon ab.  

8. Die Behandlung ist nicht darauf ausgelegt, Patienten mit mehr als 5 bis 10 psycholytischen Sitzungen zu behandeln. In der Einzelbehandlung waren früher 10-30 (niedrig dosierte) psycholytische Sitzungen üblich; doch davon ist man abgekommen. 

9. Sie kann in Gruppen nicht mit adäquater Sorgfalt und Betreuung durchgeführt werden, wenn ein Therapeut für mehr als 5-6 Patienten zuständig ist.

10. Die psycholytische Therapie dient nicht der „Selbsterfahrung“, religiösen oder gruppenbestärkenden Prozessen. Sie ist keine Heilslehre, sondern ein Psychotherapieverfahren für die Krankenbehandlung.

111. Die Interpretation der unter Substanzenwirkung gemachten Erfahrungen sind nicht beliebig, sondern bewegt sich im Rahmen etablierter psychotherapeutischer Krankheitsmodelle.

12. Religiöse oder „spirituelle“ Erfahrungen stehen nicht im Zentrum der psycholytischen Therapie, sondern psychodynamische und interaktionelle Erfahrungen. So genannte „psychedelische“ oder religiöse Erfahrungen sind – trotz ihres teils besonderen Eigenwertes – nicht selten als psychologische Abwehr von schmerzhaften und schwierigen persönlichen Prozessen zu interpretieren.

13. Die psycholytische Therapie ist kein „spiritueller Weg“, der systematisch verfolgbar wäre. 

14. Die unter Substanzwirkung auftretenden Erfahrungen sind nicht „programmierbar“. Vorgehensweisen und Settings, die Patienten in bestimmte Erfahrungssequenzen „hineinsuggerieren“, entsprechen nicht einer lege artis angewandten Psycholyse. Die Erfahrungen konstellieren sich aus dem Zusammenwirken äußerer und innerer Faktoren, die nur teilweise beeinflussbar sind - und werden sollten. 

15. In der Ausbildung wird Selbsterfahrung mit den Substanzen als Bestandteil begriffen, aber es wird nicht angenommen, dass diese Erfahrungen „jedem zugänglich“ sein sollten oder per se „wertvoll“ seien. 

16. Psycholytische Erfahrungen sind nicht grundsätzlich heilungsfördernd. Sie können auch potentiell therapiehinderliche, pathologische und schädigende Elemente enthalten.

17. Die intensivierten Erfahrungen dürfen nicht dazu verführen, die Grenzen zum Klienten verringern oder gar „aufzulösen“, wie dies in einigen Fällen vorgekommen ist. Im Gegenteil bedarf es einer besonderen Aufmerksamkeit auf die Einhaltung angemessener therapeutischer Ambitionen, professionellen Vorgehens und sicherer Grenzen. Auch deshalb sind regelmäßige Supervision und Intervision notwendige Bestandteile psycholytischer Praxis.

18. Die psycholytische Therapie soll und darf nicht Anlass sein, aufgrund der gelegentlich auftretenden sehr beindruckenden und tiefreichenden Erfahrungen messianischen Tendenzen anheimzufallen und  „jedem diese Erfahrungen zugänglich machen“ zu wollen. Solches Verhalten ist inadäquat für einen Psychotherapeuten und muss zur kritischen Selbst- und Fremdreflexion anregen, wenn es auftritt.

19. Die psycholytische Therapie dient nicht dazu, einer – wie auch immer gearteten – „Erleuchtung“ oder „universalen Liebe“ näherzukommen, sondern bedeutet psychotherapeutische Arbeit, um die Genuss-, Arbeits-, und Beziehungsfähigkeit zu stärken und um Autonomie und Selbstgestaltungsfähigkeit zu vermehren. Dies steht im Gegensatz zu Abhängigkeit erzeugenden psychosozialen Strukturen.

  • Literaturverzeichnis

    Abramson, Harold A. (ed.) (1967) The Use of LSD in Psychotherapy and Alcoholism. Indianapolis, New York, Kansas City: Bobbs Merrill

    Blewett DB, Chwelos N (n.d, [1959]) Handbook for the therapeutic use of lysergic acid diethylamide – 25. Saskatchewan: self-published 

    Grof S (1980) LSD-Psychotherapie. Stuttgart: Klett-Cotta

    Jungaberle H, Gasser P, Weinhold J, Verres R (Hrsg.) (2008) Therapie mit psychoaktiven Substanzen. Bern: Huber