Microdosing - Sinn und Unsinn Torsten Passie und Markus Berger im Gespräch

Microdosing mit psychoaktiven Substanzen ist ein Trend, der sich von der psychedelischen Bewegung in den Mainstream ausgebreitet hat. Ist es nur ein Hype, der bald wieder abflauen wird, oder kann Microdosing sogar den visionären Gebrauch von psychotropen Stoffen wieder salonfähig machen? Die beiden Drogenforscher Torsten Passie und Markus Berger haben die bislang einzigen Bücher zum Thema veröffentlicht (siehe Hinweis am Artikelende) und sich darüber unterhalten, welchen Sinn Microdosing haben kann – oder auch nicht. 

Berger: Microdosing ist heutzutage ein Trend, der auch die Mainstream-Medien immer wieder aufgreifen. Aber kaum jemand kennt sich damit wirklich aus. Was gibt es über die Geschichte des Microdosings zu sagen? 

Passie: Wahrscheinlich haben 
schon indigene Völker mit geringen 
Dosierungen psychoaktiver Pflanzen experimentiert. Die haben ja eigentlich höhere Dosen verwendet, um schamanische Rituale zu katalysieren. Es ist aber zumindest von den Tarahumara bekannt, dass sie teils Scheu vor den entheogenen Effekten des Meskalins hatten. Da sie aber regel- mäßig größere Strecken laufend zurücklegen, nehmen sie geringe, lediglich stimulierende Dosierungen psychoaktiver Kakteen zur Leistungssteigerung und Hungervermeidung.

Berger: Neben den klassischen meskalinhaltigen Lophophorae etwa den Epithelantha micromeris, einen sehr kleinen Kaktus, der stimulierende Phenylethylamine enthält. 

Passie: Auch die ersten LSD-Experimente sind mit sehr kleinen Dosierungen gemacht worden. Das hat damit zu tun, dass Albert Hofmann beim ersten bewussten Experiment 250 Mikrogramm einnahm und einen eher schlechten Trip erlebte. Da waren die nachfolgenden Experimentatoren dann sehr vorsichtig und machten die ersten Versuchsreihen mit Dosierungen von 20 bis 40 Mikrogramm. 

Berger: Über welche Effekte haben die Forscher dann berichtet? 

Passie: Diese Versuche wurden mit Ärzten durchgeführt, die nach der Einnahme des LSD ganz normal ihren Dienst in der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich leisten sollten. Die waren von den kleinen Dosen nur wenig beeinträchtigt, aber berichteten beispielsweise über eigenartige Gedankengänge, dass sie sich verfolgt fühlten und so weiter. Komplexe Schreibarbeiten konnten sie nicht mehr richtig erledigen. Die haben diesen Zustand also eher erlitten, als dass er ihnen etwas gebracht hätte. Sie berichteten auch über depressive Stimmungslagen, Ängstlichkeit und leichte Verwirrung. Euphorische oder als gut empfundene Effekte wurden nicht berichtet. 

Berger: Für manche ist aber mit 20 Mikrogramm bereits die Schwellendosis erreicht. 

Passie: Das stimmt. Trotzdem darf man nicht vergessen, dass manche Personen sich auch in kleinste spürbare oder auch eingebildete Wirkungen hineinsteigern und so durch eine Art Autosuggestion mehr Effekte zu verspüren meinen als objektiv vorhanden sind. 

Berger: Wobei die Dosierung beim Microdosing durchaus eine individuelle Angelegenheit ist: Manche verspüren nach 25 Mikrogramm keinerlei Wirkungen, während andere behaupten, bereits mit 10 bis 15 Mikrogramm merkbare Veränderungen herbeiführen zu können. 

Passie: So ist es. Die psychedelischen Wirkstoffe sind ohnehin in der Dosierung recht individuell, bei geringen Mengen erst recht. 

Berger: Wie kam die Microdosing-Technik in die Therapie? 

Passie: Der Pionier war der Hamburger Psychiater Walter Frederking. Dieser hatte mit Patienten alle paar Wochen psycholytische Therapien mit höheren Dosierungen durchgeführt. Diesen Patienten hat er dann zusätzlich ganz kleine Dosierungen LSD mit nach Hause gegeben, sodass sie mehrmals in der Woche 20 Mikrogramm einnehmen konnten. Davon merkten die meisten Patienten keine bis
nur schwache Effekte; doch Frederking 
stellte fest, dass sie auf diese Weise für die Psycholyse «offener» wurden. Auch konnte
 ein Patient länger bestehende leichte Magen-Darm-Krämpfe damit erfolgreich behandeln. In der klassischen psycholytischen Therapie mit LSD wurden ja damals ohnehin teils sehr kleine Dosen wie 30, 50 oder 75 Mikrogramm eingesetzt. 

Auch das US-amerikanische Militär hat früher Versuche mit geringsten LSD-Dosierungen durchgeführt, um herauszufinden, was passiert, wenn im Psychochemiekrieg mal ein Gegner nur eine geringe Menge «abbekommen» hat. Dabei konnte man minimale Veränderungen von Hautwiderstand und Pupillendurchmesser schon bei 8 Mikrogramm registrieren. Später hat man Soldaten unter 35 Mikrogramm Schach spielen lassen und dabei leichte Einbußen festgestellt. 

Berger: Eine umfassende Übersicht über die Geschichte des mikrodosierten Gebrauchs von Psychoaktiva in Therapie und Untergrund haben wir ja in unseren Büchern über Microdosing zusammengetragen (siehe Hinweis am Ende dieses Artikels).


Passie: Genau. Wichtig scheint mir, darauf hinzuweisen, dass mikrodosierte Psychedelika durchaus Effekte herbeiführen können, diese aber nicht immer mit dem übereinstimmen, was heutige Anwender von ihren Versuchen berichten.


Berger: Ein gutes Stichwort. Lass uns doch kurz auf die Effekte eingehen, die von Microdosing behauptet werden. Ich weiß, dass es eine große Zahl Anwender gibt, die berichten, dass mikrodosierte Psychedelika wachmachende sowie Konzentration und Stimmung verbessernde Wirkungen bringen sollen. Manche erzählen, dass sie mit mikrodosiertem LSD oder Psilocybin ihre vom Arzt verordneten Stimulanzien ersetzen können – zum Beispiel Methylphenidat oder Amphetamin bei ADHS. Auch habe ich Zuschriften von Studenten, die in stressigen Phasen des Studiums zu Stimulanzien gegriffen haben und diese nun durch Mikrodosen von LSD ersetzen. Meine eigenen Erfahrungen bestätigen diese Wirkungen allerdings nicht so recht.

Passie: Ich habe ebenfalls Versuche unternommen. Bei 12 bis 15 Mikrogramm konnte ich gar keine Effekte verzeichnen. Bei 20 bis 25 Gamma konnte ich mich spürbar schlechter konzentrieren und hatte gar keine Lust mehr auf Arbeiten am Schreibtisch. Ich war leichter ablenkbar und zeitweise auch dysphorisch. 

Berger: Die konventionelle Wissenschaft kann konzentrationsfördernde Eigenschaften mikrodosierter Psychedelika ebenfalls eher nicht bestätigen; im Gegenteil, die Konzentration lässt gewöhnlich nach. 

Passie: Auch eine stimmungsaufhellende Wirkung kann ich nicht 
bestätigen. Schon in den 1950ern 
hatte man in einer Versuchsreihe 
mit Depressiven mit 10 bis 20 Mikrogramm LSD keine bessernde
Wirkung gefunden, auch bei regelmäßiger Gabe. Daher ist die Anwendung von LSD-Microdosing als Behandlung von depressiven Verstimmungen nach derzeitigem Wissensstand eher mit einem Fragezeichen zu versehen. 

Berger: Ein weites Gebiet beim Microdosing ist die Anwendung gering dosierter Psychedelika zur Bekämpfung von Migräne- und Clusterkopfschmerz. Es gibt Personen, die nach Einnahme von mikrodosierten Psychedelika (LSD, Psilocybin, Meskalin) über ausbleibende Kopfschmerzen berichten und dass auch Microdosing zu Beginn einer Attacke gut helfen kann. Andere Betroffene berichten, dass gering dosierte Substanzen ihnen nicht helfen, sondern hohe Dosierungen nötig sind. 

Passie: Dazu ist die Datenlage eher dünn und widersprüchlich. Es gibt aber, wie du sagst, eine Reihe von Berichten von Anwendern, die darauf hinweisen, dass Microdosing bei einigen Fällen helfen kann – aber nicht muss. Ein italienischer Forscher hat in den 1960ern angeblich erfolgreich versucht, mit täglichen LSD-Gaben von 3 bis 7 Mikrogramm Kopfschmerzattacken präventiv, also vorbeugend, zu behandeln. Leider sind diese Versuche nicht ausreichend dokumentiert, so dass man die Belastbarkeit seiner Ergebnisse nicht abschließend beurteilen kann. Nach dem, was wir bisher wissen, sind höher dosierte LSD-Sitzungen deutlich effektiver, was die Behandlung von Migräne- und Clusterkopfschmerz angeht. 

Berger: Weitere behauptete Effekte des modernen Microdosings sind antidepressive und angstlösende Wirkungen.


Passie: Wie vorhin schon angesprochen, hat ein US-Forscher schon in den 50er Jahren depressive Patienten mit LSD-Mikrodosen behandelt. Mehr als zwei Drittel der Patienten erlebten entweder eine Verschlechterung der Symptome oder keinerlei merkbare Wirkung. Nur vereinzelt berichteten Patienten über mindestens zeitweilig positiv empfundene Wirkungen. Als Schlussfolgerung formulierte dieser Forscher, dass LSD-Microdosing keine brauchbare Option für die Behandlung von Depressionen sei.
 Eine gewisse angstlösende Wirkung wurde vom Psilocybin berichtet, und zwar in einer Publikation zu Beginn der 60er Jahre. Von diesen wenigen Versuchen an einzelnen Patienten wurde eine Art psychischer Lockerung beschrieben; die Patienten fühlten sich dabei etwas abgelöst von der Umwelt und gleichgültiger, was in einigen Fällen mit weniger Ängstlichkeit einherging.
 

Berger: Gerade sind zwei wissenschaftliche Untersuchungen zum Microdosing publiziert worden, die nach strengen wissenschaftlichen Regeln durchgeführt wurden. Dazu gehören die gleichzeitige Gabe von Placebos bei der Hälfte der Teilnehmer – und dies, ohne dass Versuchsleiter oder Versuchspersonen wissen, was sie bekommen hatten. Dies ist der sogenannte Doppelblind-Versuch. Die Ergebnisse waren eher ernüchternd und sprechen nicht für die Aussagen jener Anwender, die dem Microdosing so vielfältige positive Effekte bescheinigen. 

Passie: Genau. Eine der Studien mit 50 Versuchsteilnehmern (Yanakieva et al. 2018) erbrachte bei Dosierungen von 5, 10, 15 und 20 Mikrogramm überhaupt keine messbaren Effekte, die über dem Zufallsniveau lagen. Eine andere (Bershad et al. 2019) konnte im Dosisbereich von 5 bis 20 Gamma nur sehr, sehr kleine Wirkungen nachweisen. Die Schwellendosis, bei welcher die Versuchspersonen irgendeine
 Wirkung verspürten, lag wie bei den
 alten Studien bei 20 Mikrogramm.

Berger: Bis jetzt haben wir hauptsächlich aus wissenschaftlicher Sicht beziehungsweise im Hinblick auf eventuelle Vorzüge für kranke Personen oder die Alltagsoptimierung für Gesunde übers Microdosing mit LSD, Psilocybin und anderen Psychedelika gesprochen. Es gibt da aber noch einen anderen Aspekt, den wir nicht ausklammern sollten, nämlich das psychonautische Microdosing in Kombination mit anderen Substanzen, zum Beispiel Ketamin, DMT oder Kokain, wo die Mikrodosen als eine Art Booster für höher dosierte Trips mit anderen Substanzen fungieren können. 

Passie: Das ist tatsächlich ein anderer, bisher nur wenig beleuchteter Aspekt. Dosierungen, die man sonst nicht bemerken würde, können sich als Synergiegeber auswirken, wenn sie zusätzlich zu bzw. vor anderen höher dosierten Substanzen verwendet werden. Wenn also beispielsweise ein mikrodosiertes Psychedelikum bereits einen Teil der Rezeptoren besetzt hat und dann ein höher dosiertes Psychedelikum dazukommt, kann das die Effekte durchaus verändern. 

Berger: Diese Synergien können nach meiner Erfahrung recht massiv ausfallen, wenn Substanzen im Mischkonsum mikrodosiert werden, die verschiedene Rezeptorensysteme ansprechen – beispielsweise wenn bei einer Erfahrung mit Tryptaminen Ketamin dazu dosiert wird. 

Passie: So etwas ist zurzeit im Grunde ausschließlich Sache des psychonautischen Untergrunds,  denn die gleichzeitige Einnahme verschiedener psychoaktiver Stoffe wird innerhalb der wissenschaftlichen Forschung bedauerlicherweise nicht untersucht. Hier werden nur die Effekte von Einzelsubstanzen erforscht, um deren Wirkung möglichst «rein» zu erfassen. 

Berger: Das ist also ein weites Feld für die private psychedelische Forschung. Mitunter können psychoaktive Substanzen durch synergistisches Microdosing enorm verstärkt werden. Ein Beispiel ist der Mischkonsum von MDMA oder LSD und geringsten Mengen von Ketamin. Manche Psychonauten schnupfen auf dem Peak der MDMA- bzw. LSD-Wirkung wenige Milligramm Ketamin und erleben eine kurzzeitige signifikante Veränderung oder Verstärkung des Trips, die sich auf den gesamten Rauschzustand und speziell das auditive Erleben auswirken kann. Es ist ein bisschen zu vergleichen mit dem Mischkonsum mit Lachgas.


Passie: Das wird leider von der Wissenschaft nicht weiter untersucht.
 

Berger: Es ist aber insbesondere für rekreative Drogennutzer relevant.
 

Passie: Dazu noch eine Bemerkung: Wenn wir von Microdosing sprechen, reden wir ja in der Regel über Dosierungen, die sich unterhalb der Wahrnehmungsschwelle für die Wirkungen dieser Stoffe abspielen. Beim Mischkonsum besteht dabei die Chance, dass diese subperzeptuellen Mengen plötzlich eine merkliche Wirkung herbeiführen, quasi als Synergistika mit anderen Psychoaktiva. Die gängige Definition sagt allerdings, dass Microdosing keine subjektiv feststellbaren Wahrnehmungsveränderungen hervorrufen sollte. Es wurde vorgeschlagen, bei geringen Dosen mit merkbaren Effekten wie etwa 20 bis 50 Mikrogramm LSD von «Minidosing» zu sprechen. 

Berger: Das muss ich ein wenig einschränken, denn diese Definition gilt nicht für alle Microdosing-Anwendungen von Psychoaktiva. Denken wir an mikrodosiertes DMT, das auch bei sehr geringen Dosierungen Wahrnehmungsveränderungen herbeiführt. Die sind dann nicht so stark wie ein normaler DMT-Trip, aber es gibt eindeutige visuelle Sensationen und auch Veränderungen des Körpergefühls. Ein geschickter Anwender kann mit wenigen Milligramm DMT eine Art kleinen Pilztrip herbeiführen, der sich durch weitere Züge an der DMT-Pfeife auch verlängern lässt. 

Oder denken wir an Microdosing mit solch wenig bekannten Stoffen wie Kanna (Sceletium tortuosum), das als Extrakt in Mengen von wenigen Milligramm kokainähnliche Effekte induzieren kann. Auch Stoffe wie Ketamin, PCP-Derivate oder auch 5-MeO-DMT bewirken mikrodosiert eindeutige psychoaktive Effekte, besonders dann, wenn sie im Mischkonsum mit anderen Substanzen eingesetzt werden. Auch Meskalin ist so ein Fall. Wenn wir von einer normalen psychedelischen Dosis von etwa 300 bis 400 Milligramm ausgehen, so würde die Dosis für ein Microdosing-Dosis gemäß der Faustregel, 10 bis 20 Prozent der normalen Menge zu verwenden, bei 30 bis 40 Milligramm reinen Meskalins liegen. Das ist aber eine Dosis, die bei vielen schon zu leicht amphetaminähnlichen Wirkungen führt. 

Passie: Das ist richtig; beim Microdosing kommt es nicht nur auf die Dosierung, sondern unbedingt auch auf die verwendete Substanz an. Beim Microdosing mit LSD, Psilocybin und anderen Substanzen kann man aber sagen, dass die Grenze zum Minidosing schon überschritten ist, sofern merkbare psychische Effekte auftreten, 

Berger: Lass uns zum Abschluss noch über die Bedeutung des vermutlich kaum wirksamen Microdosings für die gesellschaftliche Assimilation des Gebrauchs von Psychoaktiva sprechen. 

Passie: Es könnte durchaus sein, dass wir es hier mit einer Art von kulturellem Assimilationsprozess zu tun haben. Menschen, die vielleicht bisher eher ängstlich gegenüber Psychedelika waren oder es noch sind, kommen über die Microdosing-Schiene «langsam, aber sicher» an die Substanzen heran – nach dem Motto: Wenn ich nur wenig nehme, kann auch nicht viel passieren. Das ist etwa so, als würde jemand, der eigentlich Angst vorm Autofahren hat, nur ganz langsam auf der Straße fahren, um sich so nach und nach an die Teilnahme am Straßenverkehr zu gewöhnen. So etwas könnte ich mir im Zusammenhang mit Microdosing auch vorstellen.
 Ich glaube, dass es im Verlauf der nächsten Jahre immer wieder Microdosing-Anwender geben wird, die plötzlich auf die Idee kommen, dass die Einnahme von höher dosierten Stoffen eine ganz andere, eine überwältigende Wirkung herbeiführen könnte, die das Leben in der einen oder anderen Weise ungemein bereichern kann. 

Berger: Genau. Das könnte für einige der Einstieg in die psychedelische Praxis sein, ob rekreativ oder therapeutisch.


Passie: So ist es. Wir stehen in Sachen Microdosing-Forschung noch ziemlich am Anfang. Es wird sich erst in den kommenden Jahren herausstellen, ob dieser Trend sich hält und ob die Wirkungen bei solchen Anwendungen tatsächlich relevant sind. 

Das Interview wurde publiziert in "Lucys Rausch" 10/2019.