Stichwort: Bewusstseinsforschung

Von Prof. Dr. Torsten Passie

 

Der Vielfalt und Divergenz des Phänomens Bewusstsein entspricht die Breite des Spektrums der Ansätze zu seiner Erforschung. Da es Merkmale aufweist, die sich auf stark präreflexive Elemente der subjektiven Erfahrung beziehen und zugleich eine neuronale Grundlage als gesichert betrachtet werden darf, erscheinen sowohl auf subjektive Erfahrung fußende als auch naturwissenschaftliche Methoden zu seiner Erforschung legitim. Die Subjektseite des Bewusstseins wurde im ausgehenden 19. Jh. zuerst durch die deskriptive Psychologie von F. Brentano und W. James sowie später durch die Phänomenologie (E. Husserl u. a.) zum Gegenstand der Betrachtung. Ausgehend vom systematischen Studium des in der unmittelbaren Erfahrung Gegebenen konnten so eine Reihe von qualitativen Merkmalen des Bewusstseins genauer beschrieben, eingegrenzt und definiert werden. Von naturwissenschaftlicher Seite wurde Bewusstsein im 20. Jh. zunächst zum Thema bei der Untersuchung von Ausfällen bewusster Wahrnehmung in spezifischen Bereichen (Gesichtererkennung, Körperwahrnehmung u.a.) bei Menschen mit Hirnschädigungen. Aktuell wird u.a. die Fähigkeit einiger dieser Menschen zu gezielten Reaktionen trotz fehlenden Bewusstseins des Wahrnehmungsgegenstandes beforscht (sog. „Blindsicht“).

Neuartige Untersuchungsmethoden können den Stoffwechsel des lebenden Gehirns abbilden (Positronen-Emissions-Tomographie, funktionelle Magnetresonanztomographie u.a.) und damit nähere Aufschlüsse über die funktionell an der Entstehung und Aufrechterhaltung des Bewusstseins beteiligten Hirnstrukturen bzw. hirnimmanenten Prozesse liefern. Eine einzelne anatomische Struktur, an welche Bewusstsein gebunden wäre, konnte jedoch nicht gefunden werden. Auch deshalb wird davon ausgegangen, dass es sich beim Bewusstsein um ein globales Integrations- und Übertragungssystem handelt, welches eine spezifische Synchronisierung großer Verbände von Hirnzellen voraussetzt, um die als Ganzheit erfahrene subjektive Erlebniswelt zu erzeugen. Wichtig für die Betrachtung sind auch die von philosophischer Seite geführten (metatheoretischen) Diskussionen über die Konzeptualisierbarkeit von Bewusstsein, welche einer Eruierung funktionaler Eigenschaften zustreben, die oberhalb physischer Beschreibungsebenen objektive Zuschreibungskriterien liefern können.

Für die analytische Psychologie sind - neben der Erforschung veränderter Bewusstseinszustände - Forschungen von Interesse, welche die Jungschen Konzepte einer kompensatorischen Funktion des Unbewussten und der archetypischen Determination des Ichs zu stützen scheinen. Neurophysiologische Experimente zeigen, dass einer Vielzahl von Gedanken und Handlungsambitionen, die wir als bewusst hervorgebracht erleben, Nervenzellerregungen in tieferen Hirnschichten vorauslaufen (B. Libet) und so regulierende Einflüsse außerhalb der Sphäre des Bewusstseins unsere Welt maßgeblich mitgestalten.

 

Literaturhinweise:

Zur Phänomenologie:
Brecht FJ (1948): Bewusstsein und Existenz. Wesen und Weg der Phänomenologie. Bremen: Johannes Storm 

Zur Bewusstseinsforschung:
Velmans M (editor) (1996): The Science of Consciousness. London: Routledge 

Zu C.G. Jung und Bewusstsein:
Bürgy FM (1994): Vergleichende Studien zum Bewußtseinsbegriff in Philosophie und Tiefenpsychologie am Beispiel J.-P. Sartres und C.G. Jungs. Aachen: RWTH Phil. Diss.