Die Ekstasen der Hl. Teresa von Avila: Eine psychologisch-medizinische Perspektive

Von Prof. Dr. Torsten Passie und Dr. Elisabeth Petrow

 

Einleitung

Ekstatische Zustände gehören seit jeher zum Menschen und seinem Dasein und können bei ihrer enormen Verbreitung und auch bezüglich ihres Angelegt-Seins in jedem Menschen zur Conditio humana gezählt werden. Obgleich Ekstasen und Ekstatiker über Jahrtausende weltweit bedeutenden kulturellen Einfluss nahmen, wurden sie in der Neuzeit zunehmend marginalisiert (Danzel 1928, Passie 2013).

Der Begriff Mystik hat seinen Ursprung im griechischen Verb "myein" = sich schließen, zusammengehen“. Eine andere Bedeutung ist verbunden mit Begriffen wie "Geheimnisvolles", "Dunkles", "das den Sinnen und der Vernunft Verschlossene". Im vorliegenden Text schließt der Begriff „Mystik“ an den mittelalterlichen Sprachgebrauch an im Sinne der Erkenntnis durch die Erfahrung einer Versenkung der Seele in ihren göttlichen Grund, die innerlich einigende Begegnung mit der den Menschen und alles Seiende begründenden göttlichen Unendlichkeit, auch bezeichnet als "unio mystica".

Die Mystik bzw. mystisch-ekstatisches Erleben ist als Bestandteil selbst ursprünglichster Religiosität in erstaunlicher Übereinstimmung weltweit verbreitet. So bescheinigt der Orientalist Gelpke: "Vergleicht man die Berichte von Mystikern aus den verschiedenen Jahrhunderten und Kulturen miteinander, so wird man feststellen, dass sie bei formaler Unterschiedlichkeit inhaltlich übereinstimmen" (Gelpke 1966: 202).

Außerkirchliche Schriftsteller sehen nicht selten in der Ekstase den Höhepunkt, das eigentliche Wesen der Mystik. Nicht wenige katholische Autoren sind dagegen der Auffassung, die Ekstase gehöre überhaupt nicht zum Wesen der Mystik. Diese Verwirrung gibt es auch unter den Mystikern selbst, bei denen verschiedenen Auffassungen zu finden sind. Im Einvernehmen mit Mager (1945) kann die Ekstase im Rahmen der Mystik am ehesten aufgefasst werden als ein Durchgangs- oder Zwischenstadium der mystischen Entwicklung.

In der vorliegenden Arbeit sollen die ekstatischen Erfahrungen der Teresa von Avila, die offenbar meist mystisches Gepräge besaßen, untersucht werden und zwar primär im Hinblick auf ihre Beschaffenheit, aber auch ihre Nach- und Nebenwirkungen. Eine weitere Frage wird jene nach der Ursache dieser –  bei Teresa offenbar mit besonderer Häufigkeit – ekstatischen Erfahrungen sein. Damit verbunden ist die Frage nach einer möglichen individuellen Disposition in Konstitution und Krankheitsgeschichte der Teresa. Die Krankheitsgeschichte findet hier deshalb Berücksichtigung, da sie für ein neurobiologisches Ursachengefüge ihrer ekstatischen Fähigkeiten eine besondere Rolle spielen dürfte.

 

Ekstase und mystisches Erleben

Die Ekstase ist verschiedentlich von Religionswissenschaftlern und Theologen definiert worden, aber auch von Ethnologen und Psychologen. Allgemeine Definitionen verweisen auf die griechische Herkunft des Begriffes ékstasis = außer sich sein. Andere Termini für die Beschreibung der Ekstase sind Entrückung, Entzückung, Verzückung, Raptus oder auch – durch die Fremdheit des Erlebens gegenüber dem Normalzustand –  „alienatio mentis“.

In der Ekstase können wahrnehmungsartige Erlebnisse (Visionen, Auditionen, Leib- Erlebnisveränderungen, Levitation usw.) mit einem dominierenden Affekt („Verzückung“, Glück, Freude, Liebe, Psychalgie [= seelischer Schmerz], Trauer, Angst, Panik, Wut) oder mit einer emotionalen Turbulenz vieler Gefühle und Stimmungen vorkommen. Das Ich-/Selbst-Bewusstsein kann in verschiedenem Grade aufgehoben sein. In schweren Ausprägungen fehlen reflexive Selbst-Bewusstseinsfunktionen und die Selbststeuerung. Aber ein Rest vom Ich-Bewusstsein bleibt dennoch erhalten, denn nach der Ekstase kann zumindest ein Teil des Erlebten als Eigenes erkannt und berichtet werden. Diese Egoifzierung des Erlebten und der mnestische Einbau in die Biographie ist für die Wirkung, besonders für die Langzeitwirkung von Ekstasen, wichtig.

 

Als wesentliche Eigenarten des ekstatischen Zustandes werden beschrieben:

  • Verlust des Realitätsbezuges/-sinnes. Der in Ekstase Befindliche nimmt die Umwelt nicht mehr wahr und ist unfähig, Reize von außen zu registrieren.
  • Das Empfinden des eigenen Körpers wird erheblich reduziert oder sogar ausgeschaltet.
  • Der Schwerpunkt des Erlebens liegt im seelischen Bereich mit Gefühlserregung, Visionen und Auditionen.
  • Das gewaltige, oft auch überwältigende innere Erleben entzieht sich der Steuerung durch das Ich. Es besteht oft der Eindruck, das Erlebte stamme von außerhalb des eigenen Ichs, von einer höheren Macht.

 

Gemäß dem Bild, das der Ekstatiker nach außen zeigt, können nach Ludwig Klages (1922) zwei Grundformen der Ekstase unterschieden werden:

  • die bewegte (motorische) Ekstase und
  • die unbewegte Ekstase.

 

Klages (1922) nennt die erstere die „Sprengungs-Ekstase“, die zweite die „Schmelzungs-Ekstase“. Erstere tritt oft in Gruppen auf (Mänaden, Sufis), wo körperliche Bewegtheit bzw. Tanzen im Zentrum steht mit sich langsam steigernden Bewegungen, die über die Trance in einen Höhepunkt münden. Die unbewegte Ekstase ist dagegen mit einer Ruhe des Körpers assoziiert und tritt durch einen inneren Erlebniswandel in Erscheinung. Die ekstatischen Zustände der Teresa sind – obwohl sie nicht selten mit motorischen Entäußerungen einhergingen – weit überwiegend dem Typ der unbewegten Ekstasen zuzurechnen, da zu ihrer Induktion keine verstärkten äußeren Bewegungen angewandt wurden, sondern sie meist vom Gebet oder der Meditation ihren Ausgang nahmen.

Eine weitere Einteilung der Ekstasen bezieht sich auf Unterschiede in der Bewusstseinshelligkeit. Die luzide Ekstase, bei der ein klares Bewusstsein mit – mindestens partiell – geordnetem Erlebnisstrom vorliegt, wird bei meist fehlenden abstrakten Denkprozessen und verminderter Besonnenheit gewöhnlich als eine Art imaginativer Bilderfluss und ohne gedankliche Vorgänge erlebt. Das Gefühlserleben ist in einigen Fällen gesteigert, in anderen weicht es einer Art Gleichmut oder ist schlicht reduziert. Körperliche Koordination und Teile der Realitätsprüfung bleiben in der Regel erhalten, obgleich die Fähigkeit zur Selbstreflexion reduziert ist. Die Erlebnisinhalte sind zum größten Teil erinnerlich.

Die somnambule Ekstase, in der die Bewusstseinshelligkeit verringert, das Sensorium getrübt oder gar abgeschaltet ist, steht dem Traum erheblich näher. Abstrakte Denkprozesse treten praktisch nicht auf, von einer koordinierten, kortikal mitgestalteten Erlebnisformierung etwa im Sinne der selektiven Aufmerksamkeitsausrichtung oder Lenkung des Erlebens kann nicht mehr gesprochen werden. Der Betroffene ist nur reduziert ansprechbar, wirkt abwesend und nicht auf die Umwelt bezogen. Das Gefühlserleben kann stark gesteigert, aber auch verringert sein. Die Realitätsprüfung ist erheblich reduziert, eine Selbstreflexion nicht mehr möglich. Die körperliche Koordination ist zumeist noch mindestens rudimentär erhalten. Der Inhalt des Erlebten kann in der Regel nicht oder nur eingeschränkt erinnert werden (ausführlich dazu Passie und Scharfetter 2013, Bourguignon 1973, Oesterreich 1921).

Zusammenfassend lässt sich vorab festhalten, dass die Ekstasen der Teresa, zumindest die in ihren Schriften dokumentierten, dem Typ der unbewegten, luziden Schmelzungsektasen zugehören. Wir kommen später darauf zurück.

 

Phänomenologie mystisch-ekstatischen Erlebens

Während eines ekstatischen Zustandes sind das gesamthafte subjektive Erleben, die Kognition und der Bewusstseinsrahmen also verändert. Im Folgenden soll das mystisch-ekstatische Erleben genauer beschrieben und eingegrenzt werden, da es Voraussetzung für deren näheres Verständnis und die weiteren Erörterungen ist. Zudem ermöglicht es dem Leser einen Abgleich dieser Merkmale mit den Beschreibungen der Teresa.

Wir beziehen uns auf die Typologie universaler Merkmale mystischen Erlebens durch den amerikanischen Philosophen Stace (1960). Dieser beschreibt die wesentlichen Elemente folgendermaßen:

  • Transzendieren der Subjekt-Objekt-Relation

Darunter sind Erlebnisse zu verstehen, in denen der Betreffende den Unterschied von Ich und Umwelt nicht mehr erfährt; es kommt gleichsam zu einem Verschmelzen des Ichs mit der Umwelt.

  • Transzendenz von Raum und Zeit

Während des mystischen Erlebnisses kommt es zu einem Verschwinden der Zeitempfindung, was häufig als Empfindung der „Ewigkeit“ oder zeitlosen Glücks beschrieben wird. Auch scheinen Vergangenheit und Zukunft nicht mehr von Bedeutung zu sein, mitunter kommt es zum Empfinden des „absoluten Augenblicks“. Transzendenz des Raums meint, dass die Person die gewöhnliche Orientierung i.S. einer dreidimensionalen Wahrnehmung der Umgebung verliert, was  als Erlebnis der „Unbegrenztheit“ erfahren wird.

  • Tief empfundene positive Stimmung

Die tragenden Gefühle mystischer Erlebnisse werden beschrieben als Freude, Seligkeit, Empfinden von umfassender Liebe, tiefer Geborgenheit und innerem Frieden.

  • Gefühl der Heiligkeit

Dies wird beschrieben als eine nicht-rationale, intuitive Gefühlsempfindung von Ehrfurcht, Erstaunen, Beseligung, Tiefe und Demut.

  • Empfindung der Objektivität und Gewissheit

Auf einer intuitiven, nicht-rationalen Ebene wird „Erleuchtung“ erfühlt bzw. wissender Einblick durch direktes Erleben gewonnen. Damit verbunden ist ein Gefühl von objektiver Wahrheit und absoluter Gewissheit, d.h., dass solches Wissen wirklich wahr ist und keines Beweises auf rationaler Ebene mehr bedarf.

  • Paradoxie

Beschreibungen mystischen Erlebens haben die Eigenschaft, logisch widersprüchlich zu erscheinen. Beim Erleben innerer Einheit geht z.B. aller empirischer Gehalt in einer leeren Einheit verloren, die zugleich als angefüllt und vollständig erlebt wird.

  • Unaussprechlichkeit

Mystiker bestehen darauf, dass mystisches Erleben nicht in Worten ausgedrückt werden kann, sondern allenfalls Annährungen, oft auch in Gleichnissen, gegeben werden können, da Denken und Verbalisierungen einem solch fundamentalen und alle gewöhnlichen Erfahrungen übersteigenden Erlebnis, aber auch seiner widersprüchlichen Natur nicht gerecht werden können.

Man könnte versucht sein, den o.g. Kriterien für das unmittelbare Erleben die tiefe Einprägung und Erinnerbarkeit sowie die Nachwirkungen an die Seite zustellen. Auch wenn wir uns dessen enthalten wollen, so ist doch – auch im Hinblick auf Teresas Ekstasen – von großer Bedeutung, wie sich für sie die subakuten und längerfristigen Nachwirkungen solcher Erfahrungen ausnehmen. Wir kommen später darauf zurück.

 

Die Ekstasen der Teresa von Avila

Teresa hat schon früh – vermutlich, als sie sich 1532/33 bei ihrem Onkel aufhielt – das „innere Beten“ kennengelernt. Als sie im Alter von 23 Jahren erneut bei ihrem Onkel ist, schenkt dieser ihr ein Büchlein „Drittes ABC“ (V 4,7), das sie zum Gebet der Sammlung anleitet, was sie mit großer Begeisterung aufgreift und praktiziert. Kurz darauf „begann also der Herr, mich auf diesem Weg so zu verwöhnen, dass er mir die Gnade erwies, mir das Gebet der Ruhe zu schenken, und manchmal gelangte ich sogar zu dem der Gotteinung. (...) Es ist allerdings wahr, dass das Gebet der Gotteinung nur sehr kurz anhielt“ (V 4,7) – Teresa scheint zu dieser Zeit erstmals zu kurzen ekstatischen Zuständen erhoben worden zu sein. Nach einer langen Pause berichtet sie erst um 1555 – und damit nach ihrer „zweiten Bekehrung“ 1554 – wieder von mystisch-ekstatischen Erlebnissen.

Poulain (1925) gibt an, Teresa habe im Alter von 20 Jahren (1535) während eines ganzen Jahres in großer Sammlung gelebt und sei für kurze Momente zu ekstatischen Zuständen (i.S. von Teresas „Gebet der Ruhe“ oder der „vollen Vereinigung“) erhoben worden. Nach einer langen Pause habe sie erst um 1555 wieder mystisch-ekstatische Erlebnisse beschrieben.

Intellektuelle und imaginative Visionen hatte sie nach eigenen Angaben etwa ab 1560 (s. V 26,5 und V 28,1;3), die über zweieinhalb Jahre häufig vorkamen (V 29,2). In den darauffolgenden drei Jahren folgten die Aufwallungen (V 29,8), die sie für eine Sonderform mystischen Erlebens hielt. In ihrem 51. Lebensjahr, also um 1566, schließt sie mit ihrem „Leben“ und beginnt „Den Weg der Vollkommenheit“. Zu der Zeit dieser Verzückungen fühlt sie sich von dem Verlangen, Gott zu sehen, mit großen Schmerzen gequält. Ende 1572 wird sie zur Höchstform der mystischen-visionären Ekstase erhoben, der „Geistigen Vermählung“ (Poulain 1925: 292/3).

 

Selbstbeschreibungen der Ekstasen durch Teresa

Die folgenden Selbstbeschreibungen (SB) der Ekstasen werden im Anschluss in Stichworten bezüglich ihrer Inhalte und Merkmale charakterisiert, um Verbindungen zu dem im vorigen Abschnitt genannten Charakteristika ekstatischer Zustände aufzeigen und im weiteren Verlauf der Arbeit darauf Bezug nehmen zu können.

 

Selbstbeschreibung 1

„In dem Gebet um die Einheit ist die Seele völlig wach für alles, was Gott betrifft, aber tief im Schlaf den Dingen der Welt und sich selbst gegenüber. Solange die Vereinigung dauert, ist sie gleichsam jeder Empfindung beraubt, und selbst wenn sie wollte, könnte sie an nichts denken. Deshalb braucht sie sich gar nicht weiter Mühe zu geben, den Gebrauch des Verstandes auszuschalten. Er bleibt in solcher Untätigkeit, dass sie weder weiß, was sie liebt, noch wie sie liebt, noch was sie will. Kurz, sie ist für die Dinge der Welt wie tot und lebt einzig in Gott ... Ich weiß nicht, ob sie in diesem Zustand noch genug Leben zum Atmen übrig  hat. ... Ihr Verstand möchte wohl gern wissen, was in ihr vorgeht; aber er hat dann so wenig Kraft, dass er durchaus unwirksam ist. … So hebt Gott, wenn er eine Seele zur Vereinigung mit sich emporhebt, die natürliche Wirksamkeit aller ihrer Fähigkeiten auf. Sie sieht und hört und versteht nichts, solange sie mit Gott vereint ist. Aber die Zeit der Vereinigung dauert nie lange und erscheint noch kürzer, als sie tatsächlich ist. Gott erfüllt dann die Seele in einer Weise, dass es ihr, wenn sie wieder zu sich kommt, völlig unmöglich ist, daran zu zweifeln, dass sie in Gott und Gott in ihr gewesen ist. Diese Wahrheit bleibt ihr so tief eingeprägt, dass sie die Gnade, die sie empfangen hat, weder vergessen, noch an ihrer Wirklichkeit zweifeln kann, selbst wenn viele Jahre vergehen sollten …. Wenn nun jemand fragt, wie es denn der Seele möglich ist, zu sehen und zu wissen, dass sie in Gott gewesen, da sie doch während der Vereinigung nichts sieht und versteht, so antworte ich, dass sie es nicht jener Zeit sieht, sondern später, wenn sie wieder zu sich gekommen ist, nicht in einer Vision, aber vermöge einer Gewissheit, die ihr stets verbleibt, und die allein Gott geben kann ...“ (Teresa zit n. Poulain 1925: 326).

Elemente der Selbstbeschreibung: Unempfindlichkeit den Reizen der Außenwelt gegenüber; Unfähigkeit/Untätigkeit des Verstandes, der Kognition, der Metakognition; Änderung des Zeiterlebens; Gewissheitserleben; Dauerhaftigkeit der Erinnerung

 

Selbstbeschreibung 2

„Eines Tages im Gebet wurde es mir gegeben, in einem Augenblick alle Dinge in Gott zu schauen. Ich sah sie nicht in ihrer eigentlichen Gestalt, aber mit solcher Klarheit, dass sie mir stets lebendig vor der Seele stehen. Dies ist eine der höchsten Gnadenbezeugungen, die mir der Herr gewährt hat. Der Anblick war so zart und fein, dass der Verstand ihn nicht fassen kann.“ (...) Die Wonne einiger dieser Zustände scheint jedes sonstige Glücksgefühl zu übersteigen. Sie scheint auch organische Empfindungen mit einzuschließen, denn es heißt manchmal, sie sei für den Menschen zu groß und grenze an körperlichen Schmerz. Aber sie ist zu fein und zu durchdringend, als dass Worte sie beschrieben könnten“ (Teresa, zit. n. Poulain 1925: 327).

Elemente der Selbstbeschreibung: Gefühl des Erfassens einer ewigen und umfassenden Wahrheit; extremes Glücksgefühl, Eindruck des tiefen Verstehens; Empfindung des Zarten, der Feinheit; Unbeschreibbarkeit.

 

Selbstbeschreibung 3

„Ich gestehe sogar, dass es mich in großen Schrecken versetzte, anfangs sogar panikartig, als ich erlebte, dass sich ein Leib von der Erde erhob, denn auch wenn ihn der Geist mit sich fortträgt und das mit großer Zärtlichkeit geschieht, wenn man sich nicht widersetzt, verliert man doch nicht das Bewusstsein. Zumindest war ich so weit bei mir, dass ich erkennen konnte, dass ich fortgetragen wurde. Es wird die Majestät dessen sichtbar, der das zuwege bringt, so dass sich einem die Haare sträuben und große Furcht zurückbleibt, einen so gewaltigen Gott zu beleidigen.“ (V 20,7)

Elemente der Selbstbeschreibung: Furcht, Schrecken, Ehrfurcht; Leibesphänomene wie Levitation, Empfindung von Zärtlichkeit; bewusste Wahrnehmung des Erlebten (vermutlich zu Beginn der Ekstase).

 

Selbstbeschreibung 4

„Ich meine, dass es mir oftmals so vorkam, als lasse sie meinen Leib so leicht zurück, daß sie mir seine ganze Schwere weggenommen hat, und mitunter war das so stark, dass ich fast nicht merkte, wie ich die Füße am Boden aufsetzte. Während er nämlich in der Verzückung weilt, ist der Leib wie tot, oftmals ohne aus sich etwas zu vermögen, und so wie sie ihn packt, verbleibt er: ob stehend oder sitzend, ob mit offenen oder geschlossenen Händen. Denn wenn man die Sinneswahrnehmung auch nur wenige Male verliert, so ist es mir doch ein paarmal passiert, sie ganz und gar zu verlieren, selten und nur kurz. Aber für gewöhnlich ist es so, dass sie gestört ist, und wenn man auch von sich aus bezüglich des Äußeren nichts zu tun vermag, so hört man doch nicht auf, gleichsam aus der Ferne etwas zu vernehmen und zu hören. Das dauert nur kurze Zeit, sage ich. (...) Zumeist sind die Augen geschlossen, auch wenn wir sie nicht schließen wollen, und sollten sie manchmal offen sein, dann trifft oder beachtet man nicht, was man sieht, wie ich schon sagte. Damit sage ich nicht, dass man auf dem Höhepunkt der Verzückung noch etwas vernimmt oder hört (Höhepunkt nenne ich die Zeiten, in denen die Seelenvermögen verloren gehen, weil sie tief mit Gott geeint sind), denn dann sieht oder hört oder fühlt man meines Erachtens nichts. Wie ich aber schon beim vorigen Gebet der Gotteinung sagte, dauert diese völlige Gleichgestaltung der Seele mit Gott nur kurz. Solange sie aber andauert, spürt man kein Vermögen, noch weiß man, was da vor sich geht. (V 20,18).

Elemente der Selbstbeschreibung: Gefühl der Leichtigkeit des Leibes nach der Ekstase. Tot-Sein des Leibes in der Verzückung, ohne aus sich selbst heraus etwas zu vermögen; Verminderung bis Aufhebung der Sinneswahrnehmung; Unfähigkeit der Einflussnahme auf Sinneswahrnehmungen und Handlung. Kein Hören, kein Sehen, kein Fühlen, allenfalls undeutlich wie von Weitem

 

Selbstbeschreibung 5

„Es gefiel dem Herrn, dass ich dabei einige Male folgende Vision sah: Ich sah einen Engel neben mir, an meiner linken Seite, und zwar in leiblicher Gestalt, was ich sonst kaum einmal sehe. (...) Ich sah in seinen Händen einen langen goldenen Pfeil, und an der Spitze dieses Eisens schien ein wenig Feuer zu züngeln. Mir war, als stieße er es mir einige Male ins Herz, und als würde es mir bis in die Eingeweide vordringen. Als er es herauszog, war mir, als würde er sie mit herausreißen und mich ganz und gar brennend vor starker Gottesliebe zurücklassen. Der Schmerz war so stark, dass er mich diese Klagen ausstoßen ließ, aber zugleich ist die Zärtlichkeit, die dieser ungemein große Schmerz bei mir auslöst, so überwältigend (...) Es ist dies kein leiblicher, sondern ein geistiger Schmerz, auch wenn der Leib durchaus Anteil daran hat, und sogar ziemlich viel. Es ist eine so zärtliche Liebkosung (...).“ (V 29,13). „Da ich sah, dass ich wenig bis gar nichts tun konnte, um diese starken Aufwallungen nicht zu haben, bekam ich auch Angst, sie zu erleben; denn wie Schmerz und Glück zusammengehen konnten, das konnte ich nicht verstehen. Leiblicher Schmerz und geistiges Glücksgefühl, dass das gut möglich ist, das wusste ich schon, aber so extremer geistiger Schmerz mit einem so überaus starken Wohlgefühl, das machte mich durch-einander.“  (V 30,1).

Elemente der Selbstbeschreibung: Großer Schmerz. Stoß ins Herz, dennoch geistiger, kein leiblicher Schmerz; brennend vor starker Gottesliebe; zugleich überwältigende Zärtlichkeit; Ohnmacht dem Ablauf der Aufwallungen gegenüber; Angst/Furcht vor der Ohnmacht der Ekstasen; Kombination von geistigem Schmerz mit überstarkem Glücksgefühl.

 

Selbstbeschreibung 6

„Ich wollte, ich könnte etwas weniges von dem, was ich da erkannte, zu verstehen geben, aber wenn ich dann darüber nachdenke, wie das gehen kann, entdecke ich, dass es unmöglich ist. Denn allein schon für den Unterschied, der zwischen dem Licht, das wir hier sehen, und dem, das einem dort gezeigt wird, besteht, wo doch alles Licht ist, gibt es keinen Vergleich, denn sogar die Klarheit der Sonne sieht wie etwas völlig Lichtloses aus. Kurz, nicht einmal die Vorstellungskraft, so scharfsinnig sie auch sein mag, schafft es, zu zeichnen oder zu umreißen, wie dieses Licht ist, ebenso wenig wie irgendeines der anderen Dinge, die mir der Herr mit einem so sublimen Glücksgefühl zu verstehen gab, dass man es nicht aussprechen kann.“ (V 38,2)

Elemente der Selbstbeschreibung: Unbeschreiblichkeit, insbesondere der Lichtvision/-empfindung; Glücksgefühl

 

Selbstbeschreibung 7

„Kurz danach wurde mein Geist so sehr entrückt, dass mir schien, er befände sich fast ganz außerhalb des Leibes; zumindest erkennt man dann nicht, dass er noch in ihm lebt. Ich sah die allerheiligste Menschheit mit mehr überströmender Herrlichkeit, als ich sie je gesehen hatte. Es wurde mir durch eine wunderbare und klare Erkenntnis gezeigt, wie er an den Brüsten des Vaters ruht. Ich könnte nicht ausdrücken, wie das ist, denn ohne es zu sehen, war mir, als würde ich mich in der Gegenwart dieser Gottheit sehen. (...) Dieselbe Vision habe ich noch dreimal geschaut. Sie ist meiner Meinung nach von allen Visionen, die zu schauen mich der Herr begnadet hat, die höchste, und sie zieht überaus große Vorteile nach sich. Es scheint, als läutere sie die Seele in hohem Maße und nehme dieser unserer Sinnenwelt nahezu alle Kraft. Sie ist eine gewaltige Flamme, die, so scheint es, alle Wünsche des Lebens verbrennt und zunichte macht.“ (V 38,17-18)

Elemente der Selbstbeschreibung: Gefühl, außerhalb des Leibes zu sein, man erkennt die Verbindung zu ihm nicht mehr; Herrlichkeit des Geschauten; Sehen, ohne etwas zu sehen. Unaussprechlichkeit; Läuterung durch Gegenwart Gottes; höchste Form der Visionen

 

Aus den Selbstbeschreibungen (SB) wird deutlich, dass sich in ihnen die meisten der von Stace und Pahnke definierten Merkmale mystischen Erlebens erkennbar sind. Allerdings gehen einige der Beschreibungen in nicht wenigen Aspekten darüber hinaus. Sie werfen ein Licht auf weniger beachtete Aspekte ekstatischer Zustände, vermitteln aber auch Hinweise auf mögliche subakute und langfristige Folgewirkungen.

 

Weitere Aspekte der Ekstasen Teresas

Sinneswahrnehmung und Ekstase

Wiederholt ist in der Literatur über ekstatische Zustände, aber auch in den Beschreibungen der Teresa zu lesen, dass die Sinne während der ekstatischen Zustände aufhören zu arbeiten bzw. die Sinneswahrnehmungen wie „ausgeschaltet“ seien (z.B. Spoerri 1968, Poulain 1925, Fischer 1971). In der SB 1 spricht Teresa von dem „Schlaf den Dingen der Welt (...) gegenüber“. In der SB 4 berichtet sie von einer Ausschaltung der Sinne, die aber nicht immer vollständig sein müsse, sondern manchmal auch noch Restwahrnehmungen „aus der Ferne“ erlaube. In einer anderen SB spricht sie davon, dass einige „Sinne gelegentlich noch etwas länger durchhalten“ (6M 4,13) und gibt diesem Ausschalten der Sinne auch einen besonderen Zweck, wenn sie annimmt, dass Gott „… sich von niemandem stören lassen [wolle], weder von den Seelenvermögen, noch von den Sinnen …“ (6M 4,9). In einer anderen SB wird ein Zusammenhang mit der Intensität der inneren Gefühle suggeriert: „Die Seligkeit dieser Verzückung war überaus groß. … Ich sah nichts und hörte nichts, wie man so sagt, vor großer innerer Freude (V 38,11). Der Ekstaseforscher Roland Fischer (1915-1997) spricht von der Ausschaltung der Sinneswahrnehmung als einem wesentlichen Merkmal ekstatischer Zustände (Fischer 1971). Er sieht eine Ursache dafür im Ausmaß der inneren Erregung, die eine Perzeption der Außenwelt verhindere, da der Erlebnisraum von den inneren Empfindungen ausgefüllt sei, der „Datenstrom fast ausschließlich von „innen““ komme.

Teresa erwähnt die Ausschaltung der Sinne als einen Schutzmechanismus. So wäre die Aufwühlung durch die Ergriffenheit nicht auszuhalten, wenn auch die Außenwelt und der Körper im Bewusstsein noch Platz haben sollten. D.h. diese Bewusstseinsenge fungiert als Schutz vor Reizüberflutung.

 

Seelenvermögen, Kognition und Ekstase

Teresa differenziert in ihren Selbstbeschreibungen (SB) zwischen Sinneswahrnehmungen und Seelenvermögen. Zu den Sinnen zählt sie Hören, Sehen, Tasten. Schmecken, Riechen. Zu den Seelenvermögen rechnet sie die Fähigkeit zur Bewegung des Leibes, das Gedächtnis, das Denkvermögen, das Fühlen, das Sprechen-können, die Verstandeskräfte und den Willen. Grundsätzlich scheinen dies Vorgänge zu sein, bei denen eine bewusste Initiierung, Aufrechterhaltung (oder mindestens Mitbeteiligung) Voraussetzung ist. In mehreren SB finden sich Hinweise auf die weitgehende oder völlige Ausschaltung der Seelenvermögen während des Erlebens ekstatischer Zustände, wie z.B. „… die Seelenvermögen so hingerissen sind, dass wir sagen können, sie seien tot …“ (6M 4,4). Etwas detaillierter ist diese Beschreibung: „Im höchsten Grad der Ekstase werden alle Seelenvermögen so gebunden, dass sie nicht mehr vernommen werden, und man nicht weiß, was in ihnen vorgeht...“. Die Ausschaltung der Seelenvermögen muss jedoch nicht immer vollständig sein; worauf etwa die Erinnerbarkeit des ekstatischen Erlebnisses, aber auch dessen nicht aufgehobene Zuordnung zum Ich hinweisen. Auch Teresa berichtet von einer solchen Differenzierung: „... weil Gott, nachdem Er die Seele mit all ihren Kräften und Vermögen zunächst gerne an sich gezogen hat, dann vielleicht zwei derselben entlässt, etwa das Gedächtnis und das Denkvermögen, und bloß den Willen mit sich verbunden erhält ...“ (Teresa, zit. nach Tritsch 1990: 254).

 

„Sich-nicht-widersetzen-können“ und Aufhebung der Steuerungsfähigkeit

Aus Teresas Selbstbeschreibungen wird deutlich, dass sie die ekstatischen Zustände weder beliebig herbeirufen konnte, denn es „… gibt [keine] Mittel, um es zu wiederholen, solange es der Herr nicht will …“ (6M 11,10), noch sich in der Lage sah, diese zu steuern oder zu verhindern. Einmal stellt sie die Frage: „Gibt es eine Mittel, um sich widersetzen zu können?“ und antwortet darauf: „Keineswegs, es wird nur schlimmer …“ (6M 5,2). Nehmen wir, wie es verschiedene Autoren getan haben, eine epilepsieartige Mitverursachung der Ekstasen an (s.u.), so muss es nicht wundern, dass die Steuerung über das Auftreten weitgehend, wenn nicht völlig fehlt. „Das ist bei allen Visionen ohne jede Ausnahme so, daß man selbst nichts dazu tun kann und unser eigenes Bemühen weder etwas dazu tut noch wegtut.“ (V 29,3). So sind „... die Verzückungen sehr beständig, ohne dass es eine Abhilfe gäbe, um sie zu vermeiden …“ (6M 6,1).

Allerdings ist festzuhalten, dass auch bei fast allen auf anderen Wegen zustande gekommenen mystisch-ekstatischen Erfahrungen die Steuerungsfähigkeit weitgehend aufgehoben ist. Es mag allerdings sein, dass bei diesen der Grad der Plötzlichkeit und Überraschtheit in vielen Fällen etwas geringer ausfällt, insbesondere, wenn es sich um Zustände durch den Einsatz von bewusstseinserweiternden Substanzen, Tanz oder ähnlichem handelt. Demgegenüber mag der Grad des Überwältigt-Werdens und die Plötzlichkeit bei aus dem Gehirn selbst angestoßenen Ereignissen (wie bei der Entstehung epileptischer Übererregungen) stärker sein. Dies spiegelt sich in einer SB Teresas, wenn sie schreibt, dass der Seele „... nun klar sein soll, dass sie keinen Anteil mehr an sich selber hat und spürbar mit stürmischer Bewegung entrückt wird.“ Um dieser Zustandsveränderung nicht durch Widerstand zu erschweren nahm sie sich vor, „… nicht mehr zu tun als der Strohhalm, wenn er den Bernstein an sich zieht …“ (6M 5,2).

 

Dauer der Ekstasen

In ihren SB beschreibt Teresa ein Andauern der ekstatischen Zustände von meist sehr kurzer Dauer; von einigen Sekunden über wenige Minuten („Dauer eines Ave Maria“) bis zu – in seltenen Fällen – einigen Stunden. Dabei muss nicht der ekstatische Zustand in seiner vollen Ausprägung über den gesamten Zeitraum anhalten, sondern er kann in einer sich sukzessive abschwächenden Ausprägung noch partiell weiterbestehen: „Im höchsten Grad der Ekstase werden alle Seelenvermögen so gebunden, dass sie nicht mehr vernommen werden ... Solches kann jedoch niemals sehr lange dauern. Und doch verlängert sich bisweilen die Dauer der Ekstase auf Stunden hinaus: weil Gott, nachdem Er die Seele mit all ihren Kräften und Vermögen zunächst gerne an sich gezogen hat, dann vielleicht zwei derselben entlässt, etwa das Gedächtnis und das Denkvermögen, und bloß den Willen mit sich verbunden erhält ...“ (Teresa, zit. n. Tritsch 1990: 254). Auch aus den äußeren Beschreibungen des Erlebens Teresas ergibt sich der Eindruck eines Anhaltens der ekstatischen Zustände von Sekunden bis Stunden (Poulain 1925).

 

Das Nahezu-Heraustreten aus dem Leib

Aufgrund der typischerweise verringerten Sinneswahrnehmung wird auch der Leib vermindert oder gar nicht mehr wahrgenommen. „... eines Tages [vermutlich am 29.5.1563] ... Während ich noch bei dieser Betrachtung war, überkam mich eine gewaltige Aufwallung, ohne dass ich ihren Anlass erkannte. Mir schien, als wollte meine Seele aus dem Leib fahren, denn sie war außer sich. (V 38,9). In anderer Formulierung: „Gott reißt die Leibseele an sich, so dass es scheint als würde sie sich vom Körper trennen. Der Körper verfällt in einen todesähnlichen Zustand, eine Art Erstarrung“ (Teresa, zit. N. Mager 1945: 374). Interessant ist, dass sich die Formulierungen wiederholen, die lediglich vom Anschein oder einem Nahezu-Heraustreten sprechen: „… Dieses urplötzliche Entrücktwerden des Geistes [ist] (…) derart heftig, dass es scheint, als würde er wirklich aus dem Leib heraustreten …“ (6M 5,7). Teresa scheint sich auch darüber im Klaren zu sein, dass es stark subjektive Empfindungen sind, die diesem Eindruck zugrunde liegen. „Ob all das geschieht, während man im Leib oder außerhalb von ihm weilt, kann ich nicht sagen; zumindest würde ich nicht beschwören, dass man im Leib weilt, aber auch nicht, dass der Leib ohne die Seele ist“ (6M 5,8). „Kurz danach wurde mein Geist so sehr entrückt, dass mir schien, er befände sich fast ganz außerhalb des Leibes; zumindest erkennt man dann nicht, dass er noch in ihm lebt“ (V 38,17).

 

Angst unmittelbar vor oder während des Beginns der Ekstase

In einigen der SB Terasas wird im Zusammenhang mit den Ekstasen auch Angst erwähnt, die gelegentlich den Beginn oder Verlauf der Ekstasen begleitet. Ein prägnantes Beispiel bietet diese Beschreibung: „Weitere Art der Verzückung oder ‚Geistesflug‘, so nenne ich es, gibt es … man … urplötzlich eine so rasche Bewegung der Seele verspürt, so dass es scheint, als werde der Geist mit solcher Geschwindigkeit entrückt, dass es große Furcht verursacht, vor allem an den Anfängen … [so dass] großer Mut nötig ist, dann auch Glauben und Vertrauen, und große Ergebenheit, damit unser Herr mit der Seele mache, was er mag“ (6M 5,1).

 

Bedeutung des Leibes

Es ist nicht typisch, dass Erfahrungen der „unbewegten Schmelzungsektase“ nach Klages (1922), wie wir sie oben charakterisiert haben, mit starken Veränderungen des Leiberlebens einhergehen. Meist kommt es – auch durch die Ausschaltung der Sinneswahrnehmungen und der Seelenvermögen – zu einer verringerten oder gar aufgehobenen Wahrnehmung des Leibes. Dies scheint bei Teresa nicht der Fall zu sein, die mehrfach eine starke „Beteiligung des Leibes“ beschreibt. Zwar scheinen die Leibwahrnehmungen oft verfremdet, sind aber noch deutlich vorhanden, wie es diese Selbstschilderung zeigt: „Andere Male … wurde mir die Seele fortgetragen und fast immer auch der Kopf hinterher, ohne dass ich ihn zurückhalten konnte, ja, gelegentlich der ganze Leib, den es sogar vom Boden erhob“ (V 20,4). Kennzeichnend für die unbewegte Ekstase ist auch die Unfähigkeit, den Körper willkürlich bewegen zu können. „So gibt es zeitweise keine Kraft im Leib, um sich bewegen zu können, selbst wenn ich mich noch so sehr bemühe; alle Kraft hat die Seele mit sich fortgetragen.“ (V 20,21).

Manchmal scheint sich auch ein Erleben von Bedrohung über die Leibwahrnehmung zu ergeben: „… Es besteht da sicherlich unmittelbare Todesgefahr. Auch wenn es nur kurz anhält, macht es den Leib ganz verrenkt, ihr Puls ist dann so stockend, wie wenn sich die Seele schon Gott hingeben wollte … Ihre Körperwärme setzt aus … Sie [hat] zwei oder drei Tage lang nicht einmal die Kraft zum Schreiben hat, und dazu starke Schmerzen …“ (6M 11,4). Für eine Überreizung der Muskulatur, wie sie typischerweise bei epileptischen Anfällen durch die unwillkürliche Verkrampfung der Muskulatur auftritt, spricht diese Selbstschilderung: „So setzen bisweilen fast alle Pulsschläge aus, wenigstens nach Aussage derjenigen unter den Schwestern, die dann manchmal herbeieilen und dies schon in etwa kennen; meine Handgelenke treten stark hervor und die Hände sind so starr, dass ich sie manchmal nicht falten kann. Daher fühle ich sogar am nächsten Tag noch Schmerzen an den Pulsen und am ganzen Körper, so dass es mir vorkommt, als hätte man mir die Knochen ausgerenkt“ (V 20,12).

Es ist laut Teresa so, dass sich das Seelenleben, aber auch der Körper, an diese Einwirkungen gewöhnt. Wenn diese Gewöhnung eingetreten ist, vermag der Leib sie besser zu ertragen, ohne das Leben zu gefährden. Sie schreibt sogar, dass es den Leib stärken könne: „Oftmals – wenn er richtig krank oder von starken Schmerzen geschüttelt war – ist er nachher gesund und leistungsfähiger …“ (V 20,21) Doch während der meisten Ekstasen selbst werden ihren SB gemäß die körperlichen Funktionen auf ein Minimum herabgedrückt, welches grade noch ausreicht, um das Leben aufrechtzuerhalten.

 

Zusammenfassung der Merkmale der Ekstasen der Teresa von Avila

Aus den Selbstschilderungen lassen sich die folgenden Hauptmerkmale ekstatischen Erlebens bei Teresa ableiten:

 

  • Überwältigungscharakter
  • Ausschaltung der Sinne
  • Aufhebung der Seelenvermögen
  • Verändertes Zeiterleben
  • Entängstigung, Freude, Glückseligkeit, Beseligung, köstlicher Schmerz
  • Ängste, Zweifel und Zaghaftigkeit weichen der Klarheit des Wissens
  • Eindruck des Nahezu-Heraustretens aus dem Leib
  • Auflösen der Seele in Gott / „Geist der Seele“ wird eins mit Gott
  • Paradoxie / Unbeschreiblichkeit
  • Vermögen, davon zu berichten
  • Erlebnisse bleiben tief eingeschrieben

 

Als Nebenmerkmale können angeführt werden:

  • Angst unmittelbar vor/zu Beginn der Ekstasen
  • Starke Einbeziehung des Leibes
  • Keine willentliche Wiederholbarkeit

 

Stimmt diese Aufstellung, so enthalten die Selbstschilderungen der Teresa praktisch sämtliche Haupt- und Nebenmerkmale mystisch-ekstatischen Erlebens wie sie in den ersten Abschnitten ausgeführt wurden.

 

Drei Formen der Ekstase nach Teresa von Avila

In ihren Schriften unterscheidet Teresa ihrerseits drei Formen ekstatischer Zustände:

  1. die einfache Ekstase
  2. die tiefe Verzückung und
  3. den Seelenflug/die Aufwallungen.

 

1. Die einfache Ekstase

Teresa setzt die einfache Ekstase mit dem „Gebet der Ruhe“ gleich. Die einfache Ekstase habe nicht den „zwingenden“ Charakter wie die tiefe Verzückung. „Bei der einfachen Ekstase, wenn wir uns gleichsam noch in unserem Lande befinden, können wir, obwohl mit Mühe und großer Anstrengung, fast immer dem Zuge des Herrn widerstehen. Anders ist es jedoch bei der tiefen Verzückung, denn dieser kann man nicht widerstehen ...“  (Teresa zit. nach Poulain 1925: 255). Es komme zwar zum „Schlaf“ von Sinnes- und Seelenfähigkeiten, aber es ist nur die Tätigkeit der äußeren zugunsten der inneren Sinne eingestellt. Die inneren Sinne sind dabei nicht (wie im Gebet der Vereinigung) in todesähnlichem Schlaf, sondern außer sich vor Erstaunen über das, was von der Geistseele in die Leibseele überströmt. Der Körper scheint bei der einfachen Ekstase meist in einem Zustand der Untätigkeit, ja Unbewegtheit zu verharren. Bei dieser Form der Ekstase richtet sich das „mystische Wirken“ unmittelbar auf die leibseelischen inneren Sinne (Mager 1945: 375).

 

2. Die tiefe Verzückung

Die tiefe Verzückung bahnt sich schneller an, vollzieht sich plötzlicher und überwältigender. Die Steuerungsfähigkeit geht dramatisch schnell verloren. „… Dieses urplötzliche Entrücktwerden des Geistes [ist] derart heftig, dass es scheint, als würde er wirklich aus dem Leib heraustreten … Kann sie einige Augenblicke lang nicht sagen, ob sie noch im Leib oder außerhalb ist. Ihr kommt es vor, als sei sie in Gänze in einer anderen Region gewesen … wo ihr ein anderes Licht gezeigt wurde …“ (6M 5,7). Es scheint, so suggerieren die Selbstschilderungen, dass der Erkenntnisgewinn größer ist als in der einfachen Ekstase: „Und da geschieht es, dass ihr in einem Augenblick so vieles auf einmal gelehrt wird, dass sie nicht einmal ein Tausendstel davon zusammenbrächte, auch wenn sie sich jahrelang bemühen würde …“ (6M 5,7). Diese Form der Ekstase fällt mit Teresas „Gebet der Einigung“ zusammen.

Bei der tiefen Verzückung handele es sich um Vorgänge, die sich ausschließlich in der Geistseele abspielen, während die Leibseele völliger Untätigkeit verfällt. „Gottes Wirken“ erfasse dabei das innerste Wesen der Seele unmittelbar von innen her. Damit vereinigt sich die Seele soweit mit Gott, dass sie „die göttliche Art des Denkens und Wollens“ übernimmt und damit in den modus divinans übertritt (Mager 1945: 364).

 

3. Der Seelenflug/die Aufwallungen

Charakteristisch für diese Form der Ekstase scheint ihr fast gewaltförmiges Andrängen, die unmittelbare Wucht des Auftretens, wie es in dieser SB zum Ausdruck kommt: Eine „weitere Art der Verzückung oder ‚Geistesflug‘, ... gibt es … [wenn] man … urplötzlich eine so rasche Bewegung der Seele verspürt, so dass es scheint, als werde der Geist mit solcher Geschwindigkeit entrückt, dass es große Furcht verursacht, vor allem an den Anfängen … [so dass] großer Mut nötig ist, dann auch Gauben und Vertrauen, und große Ergebenheit, damit unser Herr mit der Seele mache, was er mag“ (6M 5,1).

Auch scheint es zu einer besonderen Art der Veränderung des Leiberlebens zu kommen. Dieser wird als fremd, fern oder nicht mehr vorhanden wahrgenommen, was dann zum Eindruck eines „außerkörperlichen Erfahrung“ (vgl. Blackmore 1982) führt. „Man erkennt klar, dass es Fliegen ist, wozu sich der Geist hier anschickt, um sich über alles Geschaffene zu erheben, und über sich selbst zuerst. Es ist aber sanftes Fliegen, es ist beseligendes Fliegen, lautloses Fliegen“ (V 20,24).

Nach Teresas Auffassung wird durch das ekstatische Gebet die Leibseele so gereinigt und zubereitet, dass sie an der „mystischen Geistseele“ partizipieren und sich selber nach geistseelischer Art betätigen kann. Die Seele löst sich in Gott auf, sie fühlt sich nicht mehr als ein von ihm verschiedenes Wesen. Tritt die Seele in diese Form der Ekstase ein, so hat sie nach Teresa die höchste, hienieden erreichbare Form der Gottesvereinigung, die geistige Vermählung, erfahren.

 

Die Unterscheidung von authentischen und nicht-authentischen Ekstasen

Teresa hat in ihren Darstellungen zwischen authentischen und nicht-authentischen Ekstasen unterschieden. Sie hat einige Gesichtspunkte angeführt. die eine Unterscheidung ermöglichen. Es ist ihr wichtig, dass die echten Ekstasen, die „Verzückungen, nicht Schwächeanfälle von Frauen“ (6M 4,2) sind, in welchen eine schwache Veranlagung sich ausdrückt. Sollte keine echte Ekstase vorliegen, sondern ein Hineinphantasieren in derartige Zustände, „…dann ist es nicht eine wahre Vision gewesen, sondern eine tiefe Betrachtung eigener Phantasie, eine natürliche Schwachheit, wie sie bei uns Frauen häufig eintritt“. Direkt danach verweist sie auf die fehlenden Folgewirkungen, denn diese Pseudo-Ekstasen sind „… keine andere Wirkung zurücklassend, als etwa die Betrachtung eines heiligen Bildes, und schneller aus ein Traum aus dem Gedächtnis sich verlierend. Ist es aber ein wahres Gesicht gewesen, dann bleibt es so fest eingeprägt, dass es nie mehr in Vergessenheit fallen kann“ (Teresa, zit. n. Tritsch 1990: 254). Teresa macht demnach die Authentizität der Ekstase primär von ihren Folgewirkungen abhängig, d.h. an dem, was die Person danach in Bezug auf ihr eigenes Leben umsetzt: „Bei den vorgetäuschten Verzückungen die Wirkungen ganz anders [sind und] … die Anzeichen und Wirkungen einer so großen Gnade nicht entsprechen …“ (6M 4,17).

Es darf vermutet werden, dass zu Zeiten Teresas, wo die mystischer Erfahrung, aber noch mehr die visionären Erscheinungen (vgl. Benz 1969) in der Kirche sehr umstritten waren, aber diese dennoch von vielen Gläubigen als Zeichen der Frömmigkeit angestrebt wurden, es zu vielfachen Angaben ekstatischer Zustände ohne deren wirkliches Durchleben gekommen sein dürfte. Daher dürfte diese Unterscheidung damals durchaus wichtig gewesen sein.

 

Folgewirkungen ekstatischer Erfahrungen

Schon seit Jahrhunderten wird in der Debatte um die „Echtheit“ mystischer Erfahrungen als ein wesentliches Kriterium die Wirkung auf das Leben des Betroffenen angeführt. Die Frage der Authentizität hat nicht zuletzt die Kirchen beschäftigt, die immer wieder mit Visionen und Propheten beschäftigt waren, die authentische Erscheinungen behaupteten, deren Inhalt aber oftmals mit kirchlichen Paradigmen nicht übereinstimmte, so dass deren „Echtheit“ in Frage gestellt und kritisch überprüft wurde.

Heigl (1980) und Smith (2000) haben gezeigt, dass die Phänomenologie mystisch-ekstatischer Erfahrungen bei einer Vielzahl von Kontexten und Auslösebedingungen sehr ähnlich ist. Es lässt sich daraus ableiten, dass es bei durchaus gleichartiger Erfahrung nicht immer zu gleichartigen Folgewirkungen kommen muss. Passie und Petrow (2013) haben einige mögliche Verläufe nach dem Erleben mystischer Erfahrungen aufgezeigt, die offenbar sehr unterschiedlich ausfallen können.

Im Folgenden sollen die subakuten als auch die langfristigen Folgewirkungen mystisch-ekstatischer Erfahrungen, wie sie von Teresa beschrieben wurden, dargestellt werden. Es ist zunächst zu beachten, dass, wie oben ausgeführt, i.d.R. eine lebhafte Erinnerung an das Erfahrene besteht. Diese Erinnerbarkeit besteht vermutlich auch aufgrund der Intensität der Erfahrungen, die sich dadurch „tief in die Seele einprägen“. Die außergewöhnliche Intensität kann auch erklären, dass mystische Erfahrungen nicht selten „ein ganzes Leben durchgreifend verändern“ können. Dies auch dann, wenn die Erfahrung selbst nur Sekunden oder Minuten gedauert hat. Auch wenn eine Beschreibbarkeit praktisch nicht gegeben ist, „… so bleibt ihr zwar die Erinnerung an die Großartigkeiten, die sie gesehen hat, wenn sie wieder zu sich kommt …“ (6M 4,8).

Obgleich das aus den mystischen Ekstasen resultierende Erkennen nicht mit gewöhnlichen Begriffen zu fassen ist, wirkt es auf einer tieferen intuitiven Ebene und wird auf dieser auch verankert. „Und da geschieht es, dass ihr [der Seele] in einem Augenblick so vieles auf einmal gezeigt wird, dass sie nicht einmal ein Tausendstel davon zusammenbrächte, auch wenn sie sich jahrelang bemühen würde“ (6M 5,7). Teresa stellt die kritische Frage, was denn resultieren kann „wenn die Seele nachher doch keine Erinnerung an diese erhabenen Gnaden haben wird, … was für einen Nutzen bringen sie ihr dann?“. Doch folgt ihre Antwort sogleich: „Er ist so groß, dass man ihn gar nicht übertreiben kann … so bleiben sie der Seele ganz tief eingeschrieben …“ (6M 4,6). „Es kommt vor, wenn es dem Herrn gefällt, dass eine Seele während des inneren Betens und ganz wachen Sinnes plötzlich eine Aufhebung überkommt, in der der Herr ihr große Geheimnisse zu verstehen gibt, die sie, wie ihr scheint, in Gott selbst sieht. Es (...) ist dies keine imaginative, sondern eine rein intellektuelle Vision, in der ihr aufgedeckt wird, wie in Gott alle Dinge geschaut werden und er sie alle in sich selbst birgt. Das ist von großem Nutzen, denn es bleibt tief eingemeißelt, auch wenn es in einem Nu vorbei ist (...) (6M, 10,2).

 

Subakute Nachwirkungen

Als subakute Nachwirkungen möchten wir solche Erscheinungen bezeichnen, die während der Stunden oder Tage nach den Ekstasen auftreten und womöglich noch Folgen der besonderen leibseelischen Anstrengung sind, die die Ekstasen dem Betroffenen abverlangen. So schreibt Teresa nach einer Reihe von Verzückungen: „In all diesen Tagen war ich beinahe so wie ein berauschter Mensch ... Es kostet die Seele Mühe, sich mit anderen Dingen als mit ihrem göttlichen Gegenstande zu beschäftigen“ (Teresa, Brief den Bruder, Januar 1577, zit. N. Poulain 1925: 255). An anderer Stelle beschreibt sie eine quasi über Tage unvollständig gebliebene Rückkehr in das Alltagsbewusstsein: „Es kommt aber vor, d ass der Wille, auch wenn die Entrückung abebbt, so versunken bleibt und der Verstand so benommen ist, was einen Tag, ja sogar Tage andauert, dass sie dem Anschein nach unfähig ist, sich auf etwas einzulassen …“ (6M 4,14). Dass diese Zustände noch über Tage das Normalbewusstsein und die Alltagsfähigkeit beeinträchtigen können, kommt auch in dieser Beschreibung zum Ausdruck: „... wurde mein Geist so sehr entrückt, dass mir schien, er befände sich fast ganz außerhalb des Leibes ... Ich sah die allerheiligste Menschheit mit mehr überströmender Herrlichkeit, als ich sie je gesehen hatte. ... Ich war so verblüfft und in einem solchen Zustand, dass einige Tage vergingen, bis ich wieder zu mir kommen konnte“ (V 38,17).

 

Langfristige Folgewirkungen

Gemäß Teresa bringen die Ekstasen folgende Wirkungen hervor: „Erkenntnis von Gottes Größe, denn je mehr wir davon zu sehen bekommen, desto besser gibt sie sich uns zu erkennen“, „Selbsterkenntnis und Demut“ und „Geringachtung der Dinge dieser Welt, außer denen, die man im Dienst für diesen großen Gott einsetzen kann“ (6M 5,10).

Eine der Ursachen für eine Änderung der inneren Einstellung stellt Teresa in Zusammenhang mit der nicht-selbst-gewählten Natur und dem Überwältigungscharakter der Ekstasen. „Das ist bei allen Visionen ohne jede Ausnahme so, dass man selbst nichts dazu tun kann und unser eigenes Bemühen weder etwas dazutut noch wegtut (...) es bewirkt, dass wir sehr demütig und zurückhaltend werden“ (V 29,3). „Sie lacht über sich und die Zeit, in der sie etwas auf Geld und Gier danach gab, auch wenn ich nicht glaube – und so ist es auch wirklich –, da eine Schuld zu bekennen zu haben; aber es war Schuld genug, etwas darauf zu geben. Wenn man damit das Gut erkaufen könnte, das ich jetzt in mir sehe, würde ich viel davon halten, aber man sieht ja, dass man dieses Gut erlangt, indem man das alles hinter sich lässt“ (V 20,27).

Mystisch-ekstatische Erfahrungen können Menschen tief beeindrucken, sie in Erfahrung, Selbsterkenntnis und Handlung zu einer tiefen Wandlung anregen (Passie und Petrow 2013). Nicht unproblematisch kann es ein, wenn die temporäre – aber offenbar subjektiv durchgreifend-fundamentale – Erfahrung einer möglichen Loslösung der Seele vom Körper und den weltlichen Dingen, ihre Sättigung mit dem Wissen um das Umfassende des Göttlichen, zu einer „unmenschlichen“ Distanzierung von Welt und Mitwelt führt. „Es bleibt in ihr eine viel größere Geringschätzung der Welt als vorher … Sie ist viel losgelöster von den Geschöpfen, da sie bereits einsieht, dass es nur der Schöpfer ist, der sie zu trösten und ihre Seele zu sättigen vermag …“ (6M 11,10). „... Wenn man dem Geist nach von allen Dingen völlig losgelöst ist ... entsteht eine ganz neue Entfremdung den irdischen Dingen gegenüber, so dass das Leben zur Last wird“ (V 20,7). „... So seufzt und läuft sie die ganze Zeit verweint umher, da durch jede von ihnen ihr Schmerz noch größer wird. Der Grund dafür ist, dass die Sehnsucht vielmehr wächst, weil sie in zunehmendem Maße die Großtaten Gottes erkennt, sich aber von ihm getrennt erlebt …“ (6M 11,1).

Ein wichtiger Aspekt des religiösen Lebens ist die Frömmigkeit, das Zugewandt-Sein zum Göttlichen und damit verbunden eine „Läuterung der Seele“. Es ist für Teresa Kennzeichen einer mystisch-ekstatischen Erfahrung, dass es im Anschluss daran zu einer langfristigen und anhaltenden Läuterung der Seele kommt. „Es scheint, als läutere sie die Seele in hohem Maße und nehme dieser unserer Sinnenwelt nahezu alle Kraft. … Sie ist eine gewaltige Flamme, die, so scheint es, alle Wünsche des Lebens verbrennt und zunichte macht; ... wurde mir hier so richtig klargemacht, wie alles Nichtigkeit ist, und wie null und nichtig die Herrscherwürden von hienieden sind. Und es ist eine gewaltige Lehre, um unsere Wünsche zur reinen Wahrheit zu erheben. Dabei wird die Ehrfurcht eingeprägt, die ich nicht beschreiben könnte, die aber ganz anders ist als alles, was wir hier erwerben können“ (V 38,18). Die intuitiv gewonnene und tief verankerte Erkenntnis aus der mystischen Erfahrung zeigt sich also auch im Leben des Betroffenen durch dessen geläutertes Verhalten. Ein wichtiges Element der Läuterung ist für Teresa die Vermehrung der Selbsterkenntnis. So sei es so, dass „… es unseren Herrn beglückt, dass wir uns selbst erkennen …“, u.a. in dem wir uns vergegenwärtigen, „dass wir nichts haben, was wir nicht empfangen hätten“. Doch um dies anzuerkennen sei „Mut erforderlich“ (6M 5,6).

Zur Läuterung gehört für Teresa sowohl ein Gewahrsein der Existenz und Vollkommenheit Gottes als auch die Erkenntnis der Unvollkommenheit von Selbst und Welt. Steht auf der einen Seite ein – durch die Ekstasen vermitteltes – größeres Empfinden von Geborgenheit und Aufgehobensein, so werden auf der anderen Seite Unvollkommenheiten klarer erkennbar: „Jetzt sieht die Seele im hellen Sonnenlicht der übernatürlichen Erleuchtung nicht bloß die groben Fehler, die sie verdunkeln, und nicht bloß die Spinngewebe, sondern auch das geringste Stäubchen, jedes Atom der Unvollkommenheit …“ (Teresa, zit. n. Tritsch 1990: 256).  Daran kann auch ein Leiden entstehen: „... Sobald sie aber hier angekommen ist, wo diese Sonne der Gerechtigkeit sie anleuchtet ... sieht sie so viele Staubteilchen, dass sie sie am liebsten wieder zumachen würde ...“ (V 20,28).

Teresa hat weiterhin klar die mögliche Entfremdung von der Welt beschrieben und auch das Leiden gesehen, das dadurch verursacht werden kann. „Und es werden ihr, die ... ganz außer sich ist, großartige Dinge gezeigt. Sobald sie sich wieder bei sich erfährt, hat sie so großen und vielfachen Gewinn und hält nur mehr so wenig von all den Dingen der Welt, dass sie ihr im Vergleich zu denen, die sie geschaut hat, wie Unrat vorkommen; sie lebt in ihr von nun an in großer Qual ...“ (6M 5,9). Allerdings macht sie deutlich, dass der Mensch gestärkt aus solchen Erfahrungen hervorgehen kann: „Es ist dies etwas Schmerzhaftes, doch die Seele geht mit ganz starken Wirkungen daraus hervor; die Angst vor Prüfungen, die ihr zustoßen könnten, geht aber verloren, denn verglichen mit dem so schmerzhaften Gefühl, das ihre Seele empfand, sind sie ihres Erachtens nichts …“ (6M 11,10).

Für die höchst-mögliche Folgewirkung mystisch-ekstatischer Erfahrungen gibt Teresa die folgende Beschreibung: „Die höchste Stufe ist es daher, wenn der Mensch mit Gott vollgesogen ist, ein Schwamm der Gottheit. Dann kann er in die Welt zurückkehren und sich wieder um irdische Sorgen kümmern, denn nun wird er eine Marionette Gottes sein. Seine Wünsche, Bewegungen und Handlungen in der Welt werden nicht mehr ihm gehören. Was ja auch tut und was ihm zustößt, es wird ihn nicht anfechten, denn ‚er‘ ist nicht auf der Erde, nicht in seinem eigenen Wünschen und Tun, er ist gefeit und undurchdringlich für alle Eindrücke. Seine wahre Person ist zu Gott ausgewandert, in Gott eingestreut, und übrig bleibt nur noch eine mechanische Puppe, ein ‚Geschöpf‘, das von Gott bewegt wird“ (Teresa, zit. nach Ortega y Gasset 1954: 170).

 

Die Krankengeschichte

Aufgrund der detaillierten Selbstbeschreibungen des Auftretens und Verlaufs ihrer ekstatische Zustände wurde immer wieder der Verdacht geäußert, Teresa habe an einer Form der Epilepsie gelitten, die als Folge einer schweren Erkrankung aufgetreten sein könnte. Wohlwissend, dass es sich bei der folgenden Darstellung nur um eine spekulative Annäherung handelt, soll versucht werden, die von Teresa beschriebenen Symptome und Beschwerden verstehend einzuordnen.

Teresa war schon früh persönlich mit dem Thema Krankheit konfrontiert, da ihre Mutter häufig krank war (V 1,2). Von eigenen Erkrankungen spricht sie jedoch erst ab einem Alter von etwa 18 Jahren, wenngleich sie hinzufügt, dass sie „immer eine sehr schwache Gesundheit hatte“ (V 3,7).

Nach dem Tod ihrer Mutter im Jahre 1529 und nach Verheiratung der älteren Schwester gibt der Vater Teresa zur klösterlichen Erziehung in ein Kloster der Augustinerinnen. Nach anderthalb Jahren erkrankt sie so schwer, dass sie zu ihrem Vater zurückkehren muss (V 3,3). Zusätzlich zu dieser – zunächst nicht näher beschriebenen – Erkrankung befindet sich Teresa über Monate in einer intensiven inneren Auseinandersetzung mit der Frage nach ihrer zukünftigen Lebensform. In ihren diesbezüglichen  Schilderungen fällt neben großen Ängsten ihre hohe emotionale Bewegtheit auf. Während dieser Auseinandersetzung leidet sie erneut (oder weiterhin?) an Fieberschüben und Ohnmachtsanfällen (V 3,7). Deren Deutung muss offen bleiben, da als mögliche Ursachen eine Reihe von Infektionskrankheiten, kardiovaskuläre Ursachen, aber auch Ohnmachten durch starke emotionale Erregung infrage kommen.

Im November 1535 zwingt sie sich (V 3,5-6) zum Eintritt ins Kloster „La Encarnacion“, obwohl ihr Vater dagegen ist, da er eine Verschlechterung Gesundheit befürchtet. Vermutlich im Oktober 1538 wird sie tatsächlich schwer krank (V 5,2), was sie folgendermaßen beschreibt: „Die Ohnmachtsanfälle nahmen allmählich zu, und es befiel mich ein so schweres Herzleiden, ... dazu noch viele andere Beschwerden. So verbrachte ich das erste Jahr mit einer recht schlechten Gesundheit ... Da die Krankheit so ernst war, dass sie mir ständig fast das Bewusstsein nahm, ich manchmal sogar ganz ohne es verblieb ...“ (V 4,5). Nachdem ärztliche Behandlungen erfolglos blieben, bringt der Vater sie zu einer Heilerin in Beceda zur Kur (V 4,6). Nach Behandlungsbeginn verschlechtert sich jedoch Teresas Gesundheitszustand im Laufe der folgenden drei Monate dramatisch: „Nach zwei Monaten war ich kraft der Medikamente mit dem Leben fast am Ende, und die Schärfe meines Herzleidens ... hatte sich sogar noch verschlimmert, so dass es mir manchmal vorkam, als würde man mir das Herz mit scharfen Zähnen ausreißen ... Wegen des großen Kräfteverfalls (denn vor Übelkeit konnte ich nichts Festes zu mir nehmen, sondern nur Flüssiges), und weil ich ständig Fieber hatte und ganz erschöpft war, da man mir fast einen Monat lang täglich ein Abführmittel verabreicht hatte, war ich so abgemagert, dass sich meine Nerven unter so unerträglichen Schmerzen zu verkrampfen begannen, dass ich weder Tag noch Nacht Ruhe finden konnte. Dazu noch eine abgrundtiefe Traurigkeit.“ (V 5,7-8). Nur ihr Vater glaubt an ihre Genesung und holt sie nach Hause, wo es im August 1539 zu einer viertägigen Zuspitzung mit einem todesähnlichen Koma kommt. Danach verbleibt Teresa „aufgrund dieser viertägigen Lähmung in einem solchen Zustand, dass nur der Herr ermessen kann, welch unerträgliche Qualen ich erlitt. Meine Zunge zerbissen, die Kehle nicht minder, weil ich ... so geschwächt war, dass ich zu ersticken drohte .... Ich kam mir ganz aufgelöst vor, im Kopf ganz verwirrt, und ganz zusammengekrampft wie ein Wollknäuel ...; ich konnte mich kaum besser bewegen, als wenn ich tot gewesen wäre, weder Arm noch Bein noch Hand noch Kopf ...“ (V 6,2). „Dies ging so bis Ostern. ... so war ich schon ganz glücklich, wenn ich einmal ohne diese heftigen und andauernden Schmerzen war, auch wenn der arge Schüttelfrost bei den grässlichen Fieberanfällen, die mich jeden zweiten Tag packten, unerträglich war; die Übelkeit war sehr stark.“ (V 6,1). Während sich viele der Symptome bis zum Osterfest 1540 besserten, blieben andere für lange Zeit bestehen „... gelähmt zu sein, auch wenn es langsam besser wurde, fast drei Jahre“ (V 6,2). Die Lähmungen und Fieberanfälle scheinen erst nach etwa 12 Jahren ganz verschwunden zu sein. Mit täglichem Erbrechen und vielfältigen Schmerzen kämpfte sie jedoch zwanzig Jahre (V 7,11).

Teresa litt also in einem Zeitraum von mehr als zwanzig Jahren an folgenden Allgemeinsymptomen: hohes und undulierendes Fieber, Schüttelfrost, Übelkeit, Erbrechen, Ohnmachtsanfälle, Kachexie, Herzschmerzen, Muskelspasmen, Zungenbiss, trockene Kehle, massive allgemeine Schwäche. Hinzu kamen neurologische Symptome wie ein viertägiges Koma mit vorhergehenden und nachfolgende Phasen unterschiedlich starker Bewusstseinstrübungen, Lähmung aller Extremitäten, Verwirrtheit, Hyperästhesie des gesamten Körpers und radikuläre Schmerzen. Die beschriebene zerbissene Zunge und die Verkrampfungen der Muskulatur verweisen auf das mindestens gelegentliche Auftreten von epileptischen Anfällen. Das bei Teresa gegebene medizinische Symptombild passt gut zur Diagnose der Brucellose. Bei ihr kam es dabei offenbar zu einer schweren Verlaufsform, der sogenannten Neurobrucellose, denn das viertägige Koma, das bei Teresa 1539 auftrat, deutet darauf hin, dass sie an einer Entzündung des Gehirns und seiner umgebenden Häute (Meningoenzephalitis) litt (Sanchez-Caro 2017, Varela 1982).

Die Brucellose ist eine Infektionskrankheit, die gewöhnlich durch den Genuss von Rohmilchprodukten übertragen wird. Etwa 90% der Infektionen verlaufen unbemerkt. Es können sich aber auch über Jahre hinweg erstreckende chronische Verläufe entwickeln.

Während heutzutage eine Neurobrucellose mit Antibiotika erfolgreich behandelt werden kann, dürften zu Teresas Zeiten derartig schwere Verläufe meist zum Tod geführt haben. Gleichwohl kamen auch Spontanheilungen vor, wie sie wahrscheinlich auch Teresa erlebt hat.

 

Epilepsie und Ekstase

Von verschiedenen Autoren wurde wie erwähnt die Ursache für die starken Ekstasen der Teresa in einer krankheitsbedingten Veränderung des Gehirns vermutet. Die oben geschilderten Krankheitserscheinungen und deren Chronologie sprechen für eine solche Verursachung, zumindest Mit-Verursachung. Nicht selten resultieren aus den Erkrankungen, wie sie Teresa durchstehen musste, narbige Umbauten von Gehirngewebe, was Veränderungen der Erregbarkeit der Nervenzellen bedingen kann. Von daher ist es gut möglich, dass die Ekstasen der Teresa mit irregulären Übererregungen in bestimmten Hirnarealen in Zusammenhang stehen.

Als Epilepsie wird eine krankhafte Übererregung bestimmter Hirnregionen bezeichnet. Diese geht von einzelnen Zellverbänden aus und kann sich über das gesamte Gehirn ausbreiten.  Hat sie auf große Teile des Gehirns übergegriffen, kommt es zu einem großen epileptischen Krampfanfall. Dabei entsteht eine Trübung des Bewusstseins bis zu Desorientiertheit und Bewusstseinsverlust. Starke Verkrampfungen der Muskulatur, Verringerung der Atmung sowie unwillkürlicher Kot- und Urinabgang sind typische körperliche Begleiterscheinungen. Durch den meist schnell eintretenden Bewusstseinsverlust wird während des Anfalls gewöhnlich wenig oder nichts wahrgenommen und auch nichts erinnert. Neben diesen „großen“ epileptischen Anfällen (Grand mal) gibt es auch kleine Anfälle (Petit mal), bei denen lediglich ein kurzzeitiger Bewusstseinsverlust mit nur geringen körperlichen Begleiterscheinungen wie z.B. Schmatzen auftritt. Auch beim Petit mal besteht in der Regel keine Erinnerung.

Von Interesse für den hier behandelten Gegenstand ist die Tatsache, dass etwa 0.4-3.1% der Patienten mit Epilepsie über religiöse Erfahrungen berichten, die während oder direkt nach ihren Anfällen auftraten (Devinsky und Lai 2008, Ogata und Miyakawa 1998).

Es gibt eine Form der Epilepsie, bei der die Übererregung von Zellen vom Temporallappen (TL) ausgeht, die sog. Temporallappenepilepsie (TLE). Beim TL handelt es sich um die elektrisch instabilste Region des Gehirns, in der wichtige Funktionen lokalisiert sind bzw. mit seiner Beteiligung hervorgebracht werden wie z.B. Prozessieren und Identifizieren auditorischer und visueller Reize, Langzeit-Gedächtnis, Orientierung in Raum und Zeit, emotionale Tönung von Wahrnehmung und Erinnerung usw. Auch bei der TLE gibt es Grand mal- und Petit mal-Anfälle, aber zusätzlich noch eine Sonderform, bei welcher “Mini-Anfälle” auftreten, die das innere Erleben beeinflussen, aber nicht zu äußeren Auffälligkeiten führen.

Der kanadische Neurologe Michael Persinger bezeichnet diese Phasen „vorübergehender leichter Übererregung“ als Temporallappen-Transients (TLTs) (Persinger 1987). Personen mit TLTs beschreiben regelmäßig „außergewöhnliche Erfahrungen“ wie das Imaginieren von lebendigen Landschaften, nicht-menschlichen Wesenheiten, Lichterscheinungen, aber auch ekstatische Zustände. Welche Erfahrungsmodalitäten durch TLTs mobilisiert werden, hängt davon ab, in welcher anatomischen Region die Übererregungen auftreten. Betreffen sie Areale, die sich nahe den Regionen für die Verarbeitung akustischer Reize befinden, so können sie zu akustischen Veränderungen (Hören von Musik oder Stimmen) führen. Betroffene berichten, dass sich während der TLTs alles „unwirklich“ anfühle oder sie „wie nicht da“ seien. Manchmal scheint sich der Körper woanders zu befinden als der Geist, was als „außerkörperliche Erfahrung“ beschrieben wird. Neben positiven, „himmlischen“ Gefühlen kommt es gelegentlich auch zu depressiven Verstimmungen. Nicht selten treten bei epileptischen Anfällen, aber auch bei TLTs, Phänomene auf, wie sie für religiöse Erfahrungen berichtet werden. So etwa das „Empfinden profunden Wissens“, einer „Berührung mit Gott“ oder ein „Eins-Seins mit dem Universum“. Gelegentlich wird auch von einem „Flug der Seele“, dem Singen himmlischer Chöre oder einem „forcierten Denken“, d.h. einem „Vernehmen von Worten Gottes“ berichtet (Persinger 1987). Diese Phänomene erinnern durchaus an die Selbstbeschreibungen Teresas. Bei Patienten mit ausgeprägteren Formen der TLE treten oft Angst und Furcht unmittelbar vor dem Anfall und zu dessen Beginn auf. Dies findet sich auch in Teresa Selbstschilderungen.

Unterstellt man, dass jeder Mensch potentiell die Fähigkeit zu einer „Gotteserfahrung“ hat, wäre es wahrscheinlich, dass Personen, die TLTs oder eine TLE haben, diese Erfahrungen vermehrt berichten. Gemäß den Berichten in der medizinischen Literatur ist dies tatsächlich der Fall. Obgleich Epilepsien, die zu ekstatischen Zuständen führen, selten sind, lassen sich in der Literatur einige solche Fallberichte finden. Ein bekanntes Beispiel für eine Epilepsie mit mystischen Erfahrungen ist der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski (Voskuil 1983). Die wenigen vorliegenden Bildgebungsdaten weisen auf vorwiegend rechts-temporale Erregungsherde hin (Carrazana und Cheng 2011, Asheim Hansen und Brodtkorb 2003). Andere Forscher machen eine „Überaktivierung“ im Bereich der Hirnregion der Insula für die ekstatischen Zustände verantwortlich (Picard und Craig 2009). In einigen Fällen streben die betroffenen Patienten ein Widerauftreten der Zustände an, indem sie z.B. Medikamente nicht einnehmen (Asheim Hansen und Brodtkorb 2003).

Da für die Zeit vor der schweren Erkrankung Teresas (im Alter von 24 Jahren) keine Hinweise auf epileptische Anfälle vorliegen, ist davon auszugehen, dass ihre Anfälligkeit in dieser Richtung eine Spätfolge der Hirn-/Hirnhautentzündung (Meningoenzephalitis) der von ihr  durchgemachten Neurobrucellose sind (Sanchez-Caro 2017). In der Medizin werden solche Folgezustände als postenzephalitische Epilepsien bezeichnet. Nicht selten kann auch eine Narbenbildung nachgewiesen werden, die das Gehirn dauerhaft verändert. Daher wäre die Hypothese plausibel, dass bei Teresa im Gefolge der unbehandelten Neurobrucellose Hirnveränderungen entstanden sind, die eine Disposition für das Erleben ekstatischer Zustände hinterlassen haben. Demnach läge bei ihr der „seltene Glücksfall“ vor, bei dem eine Hirnschädigung zur „Freilegung“ außergewöhnlicher Fähigkeiten führte.

Gemäß ihren eigenen Beschreibungen und dem dokumentierten Beobachtungen hat Teresa zeitweilig sowohl unter Grand mal- als auch Petit mal-Anfällen gelitten, teils verbunden mit längerfristigen Bewusstseinsverlusten (Sanchez-Caro 2017). Neben diesen klar äußerlich erkennbaren Anfallsformen dürften - wahrscheinlich deutlich häufiger - mit ekstatischen Zuständen assoziierte TLTs bei ihr aufgetreten sein. Betrachtet man den Gesamtverlauf über das Leben der Teresa hinweg, so ist deutlich, dass sie eine stark schwankende Symptomatik  mit dem erratischen Auftreten von Anfällen und TLTs über Jahrzehnte hinweg durchlebt hat. Dies entspricht nicht einem typischen Verlauf, kommt aber in dieser Form durchaus vor, da die Hirnschädigungen und ihre Folgen individuell ganz unterschiedlich gelagert sein können.

 

Chronische Epilepsie und Persönlichkeitsveränderung

Bleiben regelmäßig auftretende epileptische Anfälle unbehandelt, so verändern sie meist die Persönlichkeit. Typischerweise zeigen solche Patienten ein verringertes Selbstbewusstsein, erhöhten Neurotizismus, weniger Extrovertiertheit, stärkere Depressivität und Angst, weniger Erleben von Selbstwirksamkeit und einen wenig aktiven Coping-Stil (Westerhuis et al. 2011, Livneh et al. 2001). Weitere Symptome können der Verlust von Humor, Suggestibilität, intensive Gefühlszustände und Stimmungsschwankungen, existentielle Angst, Neophobie (Angst vor Neuem) und ein intensives Interesse an Träumen, Religion und Philosophie sein (Geschwind 1983). Insbesondere, wenn die Epilepsie während des frühen Erwachsenenalters auftritt (wie bei Teresa), kann das psychosoziale Funktionsniveau stark beeinträchtigt werden.

Da es zu Lebzeiten der Teresa keine wirksame Epilepsiebehandlung gab, wäre zu erwarten, dass die beschriebenen Wesen- und Persönlichkeitsveränderungen auch bei Teresa  feststellbar sein müssten, wenn sie eine gewöhnliche Epilepsie gehabt hätte. Betrachtet man aber ihre Persönlichkeit und „psychosoziale Entwicklung“, einschließlich ihrer hervorragenden interpersonalen und sozialen Fähigkeiten, so ist anzunehmen, dass bei ihr keine chronische Epilepsie, sondern eine atypische Epilepsie vorgelegen hat, die zwar zeitweise (unter der Wirkung anderer körperlicher Erkrankungen oder zugespitzter psychosozialer Krisensituationen) zu Grand mal- oder Petit mal-Anfällen geführt hat (vgl. Sanchez-Caro 2017), aber vorwiegend von TLTs geprägt war.

 

Schlussbemerkung

Mit einiger Verwunderung haben wir bei der Anfertigung der vorliegenden Arbeit zur Kenntnis genommen, dass es praktisch keine Literatur gibt, die sich genauer mit den Ekstasen der Teresa von Avila beschäftigt. Ähnlich verhält es sich mit dem Studium ihrer Krankengeschichte und einer möglichen Verbindung zu ihren Ekstasen. Wir können nur vermuten, dass die Kirche nach der Heiligsprechung kein Interesse an einer Bearbeitung dieser Aspekte gehabt hat, vielleicht wegen der möglichen Implikationen säkularer Deutungen. Von daher hoffen wir, dass durch die von uns gegebene Darstellung nicht der Eindruck einer „reduktionistischen“ oder gar „pathologisierenden“ Interpretation der Ekstasen Teresas entsteht. Dies ist nicht unsere Absicht; ebenso wenig, solchen Interpretationen Vorschub zu leisten. Vielmehr erscheint der beeindruckende geistige und soziale Einfluss, den Teresa während ihrer Lebenszeit auf die kirchliche und geistige Kultur Europas ausgeübt hat und bis heute ausübt, nicht in solchen Kategorien fassbar. Zudem können auch Krankheit und neurologische Besonderheiten spezielle Bedingungen bereitstellen, die Anreiz zu Fortentwicklung und einer besonderen Entfaltung der Persönlichkeit implizieren.

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